Antje (32) arbeitet in der gleichen Unternehmensgruppe wie ich, wir hatten bisher aber keine Berührungspunkte. Auf die Frage, warum sie meinem Interviewaufruf gefolgt ist, meinte Antje, weil ich gepostet habe, dass sich mehr Männer als Frauen gemeldet haben. Die Gender-Dimension interessiert uns beide am Thema Diversität, dementsprechend war das auch einer von mehreren spannenden Aspekten bei unserem Gespräch.

 

Antje, ich freu mich sehr darauf, deine persönliche Perspektive auf das Thema Diversität einzufangen. Welche Berührungspunkte hast du beruflich und privat?

Antje: Mit dem Wort „Diversität“ setze ich mich noch nicht so lange auseinander, aber ich denke, dass wir alle im Leben in ganz unterschiedlichen Bereichen immer wieder Berührungspunkte mit dem Thema haben. Teilweise nimmt man persönliche Erfahrungen vielleicht nicht unter dem Diversitätsaspekt wahr und denkt nicht darüber nach, wenn man nicht darauf gestoßen wird.

Was verknüpfst du selbst mit Diversität, was fällt dir als erstes dazu ein?

Ich denke dabei ganz stark an „Schubladendenken“. Daran, dass wir alle dazu tendieren, jemanden aufgrund des ersten Eindrucks in eine Schublade zu stecken. Das ist ein Mechanismus, der einem immer wieder viel zu leicht „passiert“. Ich bemühe mich aktiv, zu reflektieren und den Mechanismus auszuhebeln. Wenn man sich seiner eigenen Denkmuster bewusst wird und sich damit auseinandersetzt, warum man z. B. einer anderen Ethnie gegenüber Vorbehalte mitbringt, welche persönlichen Erfahrungen dahinter stecken oder wo man Meinungen von anderen übernimmt, dann kann man anderen mit einer viel offeneren Haltung begegnen. Ich glaube, das würde uns allen sehr gut tun und viel Negatives aus dem Weg räumen. Gleichzeitig würde Potenzial für eine andere Art des Zusammenseins und der Zusammenarbeit entstehen.

 

Welche Erfahrungen hast du mit Schubladen gemacht? In welchen Schubladen wurdest du schon gesteckt?

In bin in Ostdeutschland aufgewachsen. Auch wenn ich nur erst kurz vor dem Mauerfall geboren wurde und nicht mehr viel von dieser Teilung mitbekommen habe, hat das immer wieder zu sehr starken Ausgrenzungen geführt. Ich habe mich da ganz oft in meinem Leben Klischees gegenüber gesehen, gegen die es schwer war anzukommen. Mit 17 Jahren bin ich allein „in den Westen“ aufgebrochen, um bessere Jobchancen zu haben. Aber nach wie vor verfolgt mich die Schublade. Mir wird unterstellt, dass ich wie allen ehemaligen Ostdeutschen nicht so gut gebildet und faul bin, dass wir „Ossis“ nicht arbeiten können. Dabei nehme ich eher das Gegenteil wahr. Freunde aus dem ehemaligen Ostdeutschland arbeiten tendenziell mehr und härter für weniger Geld als ich das in meinem aktuellen Umfeld sehe. Dafür geht man auch demütiger miteinander um, es herrscht bei weitem nicht so ein Wettbewerb im negativen Sinne wie hier.

 

Das bringt mich zu einem Thema, das im Interview mit Petra Spatt zur Sprache kam. Wenn wir Leistung so stark an Einzelerfolge knüpfen, behindern wir damit effektive Teamarbeit.

Das sehe ich genauso. Ich bin überzeugt, dass man im Team vielfältigere Lösungsansätze entwickeln kann. Jeder frische Wind und jeder frische Denkansatz bringt einen da weiter, als wenn man allein mit seinem Tunnelblick nachdenkt. Wenn der Wettbewerb unter Kolleginnen und Kollegen aber im Vordergrund steht, entsteht keine echte Teamarbeit. Das habe ich z. B. auch bei meinem vergangenen Job im Möbelhandel erlebt, wo auf Provision verkauft wird und das Arbeiten gegeneinander gefördert wird. Dabei wäre Teamarbeit sicher auch hier förderlich.

 

Wir haben über Schubladen gesprochen. Und im Grunde setzt Diversität genau da an, Menschen unterschiedlicher Dimensionen an einen Tisch zu bringen, sich quasi aller Schubladen zu bedienen. Was würdest du diesbezüglich bei der Zusammenstellung eines Teams beachten?

Ich würde in der Tat empfehlen, möglichst viele Schubladen abzudecken. Das aber ganz bewusst und mit der Achtsamkeit, dass die mit Schubladen verbundenen Eigenschaften und Qualitäten etwas Wertvolles sind. Dass dadurch bessere Diskussionen und Ergebnisse erst möglich werden. Ich würde ganz bewusst Klischees aufeinander treffen lassen und den Diskurs nutzen. Gegensätzliche Meinungen zu hören, ist sehr bereichernd. Vielleicht entdeckt man am Ende sogar, dass man gar nicht so verschieden ist.

 

Hast du schon einmal in einem deiner Wahrnehmung nach diversen Team gearbeitet?

Erst vor einigen Wochen haben wir bei einem Projekt über Ländergrenzen hinweg, mit Männern und Frauen unterschiedlicher Altersgruppen zusammengearbeitet. Das habe ich als sehr befruchtend erlebt. Jede und jeder hat Energie und Ideen investiert, um als Gruppe das bestmögliche Ergebnis zu erzielen, ohne dabei die Einzelinteressen aus den Augen zu verlieren. Ich gehe in solche Situationen gern mit der offenen Haltung hinein, dass mich jede und jeder im Team überraschen kann und ich daher nicht von vornherein durch Denkblockaden etwas Gutes verhindern will.

 

Du bist aktuell in einem „männerlastigen“ Vertriebsteam tätig. Hast du im Berufsleben schon davon profitiert, eine Frau zu sein? Ist es dir schon passiert, dass du gerade deshalb eingestellt wurdest, weil du eine Frau bist?

Tatsächlich trifft eher das Gegenteil zu. Ich denke zwar, dass ich gerade darum im Vertrieb „meine Berechtigung“ habe, weil ich gut zuhören kann und empathisch bin – und das ist meines Erachtens eher eine weibliche Qualität. Aber dass ich dem „schwachen Geschlecht“ zugeordnet werde, verfolgt mich mehr oder weniger schon mein gesamtes Leben. Ich weiß gar nicht mehr, wie viele Jobabsagen ich bekommen habe, weil ich eine Frau bin. Sowohl bevor ich Mutter geworden bin, als auch jetzt mit Kind. Da gibt es so viele Vorbehalte, dass man als Frau ausfallen könnte, wenn ein Kind krank ist. Fakt ist, dass ich in den elf Jahren, in denen ich Mama bin, genau drei Pflegetage in Anspruch nehmen musste.

 

Hast du das Gefühl, dich als Frau extra beweisen und anstrengen zu müssen?

Ja, definitiv. Ich will das Klischee nicht erfüllen. Und ich will auch nicht, dass ich Kolleginnen und Kollegen eine Angriffsfläche gebe. Darum habe ich schon das Gefühl, dass ich mich als Frau extra beweisen muss. Mein Ansatz wäre überhaupt, viel mehr Chancen zu geben – Frauen, Männern, Jungen und Alten – einfach allen Menschen, denen man begegnet. Das würde viele Probleme lösen und neue Möglichkeiten schaffen.

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Was mich beschäftigt

Worüber ich schon während dem Gespräch und auch danach wieder einmal nachgedacht habe, ist Folgendes: Man erfüllt mit einer Frau im Vorstand eine Quote und stellt sich dann hin als Unternehmen, das Diversität und Gender Equality ernst nimmt. Aber was ist das für eine Frau? Ist das eine Frau, die ihre weiblichen Qualitäten lebt? Dazu zähle ich u. a. Empathie, Kooperationsbereitschaft, Solidarität und Intuition? Ist das eine Frau, die den Austausch bereichert und weitere Perspektiven in eine Diskussion bringt? Oder ist es eine Frau, die starke Anteile männlicher Qualitäten mitbringt und sich damit ohne große Veränderung in die bisherige Entscheidungsfindung einordnet? Zwei Dinge, die mir an diesen Überlegungen wichtig sind: Einerseits geht es nicht nur um Männer und Frauen, es geht um männliche und weibliche Qualitäten. Nur wenn beide Dimensionen vertreten sind, kommen die damit verbundenen Vorteile zum Tragen. Und dabei ist es egal, ob Männer, Frauen oder diverse Geschlechter diese weiblichen und männlichen Qualitäten mitbringen. Der zweite Aspekt ist – weil tendenziell doch eher Frauen die weiblichen Qualitäten mitbringen –, dass man Frauen Frau sein lässt. Dass man sie in ihrer Ganzheit wahrnimmt, schätzt und ihre Stärken dementsprechend einsetzen lässt.

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Weiterführende Links

Beim Gespräch mit Antje kam die Frage auf, ob man sensibler für Diversitythemen und unconscious bias wird, wenn man selbst Erfahrungen mit Ausgrenzung aufgrund einer Schublade gemacht hat. Wir denken beide, dass man offener wird und mit mehr Akzeptanz auf andere zugeht, wenn man weiß, wie es sich anfühlt, aufgrund struktureller Kriterien in eine „minderwertigere“ Schublade gesteckt zu werden. Was denkt ihr? In welcher Schublade steckt ihr?

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Ein Perspektivenwechsel

Antje, was würde sich in deinem Leben ändern, wenn du… ab morgen ein Migrant und gläubiger Moslem wärst?

Ich wäre dann auf jeden Fall mit anderen Vorbehalten belastet und würde von Kunden und Kolleginnen und Kollegen anders wahrgenommen werden. Nämlich noch kritischer, da Frauen und Mütter doch noch einen ganz anderen Stellenwert in der Gesellschaft einnehmen als Migranten im Allgemeinbild. Ich hätte bestimmt andere Sorgen und die psychische Belastung wäre stärker, aber ich denke, dass ich meinen Job ausüben könnte.