Helena (45) ist eine Freundin, meine Führungskraft, eine Kommunikationsvertraute und vor allem eine offene, coole, starke Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht und trotzdem manchmal träumend in den Wolken hängt. Eine ihrer Leidenschaften ist „to dive in“ – Helena ist Apnoetaucherin. Im Interview sind wir eingetaucht in ihre Perspektive auf das Thema Diversität: beeinflusst durch ihre Kindheit als Halbgriechin mit einem wenig aufregenden Sozialstatus und der Zugehörigkeit zu Randgruppen.
Helena, das wird das erste Interview mit jemandem, den ich gut kenne. Ich bin gespannt, ob wir dadurch auch anders in das Thema einsteigen. Was verbindest du mit Diversity?
Helena: Ich hielt den Begriff lange Zeit für eine Art „Buzzword“ und habe damit hauptsächlich Gender Equality verbunden. Als ich mich dann näher mit dem Thema beschäftigt habe, habe ich Diversity als Beschreibung eines Zustands entdeckt, der für mich eigentlich der Normalzustand wäre. Das heißt, dass alle Bubbles aufgelöst werden, und die Menschen so zusammenleben und so miteinander interagieren, wie sie in der Gesellschaft abgebildet sind – sprich gleichberechtigt über alle Geschlechter, alle Ethnien, alle Altersgruppen etc. hinweg.
Hast du persönlich schon Erfahrungen mit Bubbles bzw. Schubladen gemacht?
Ja, auf jeden Fall. Das wurde mir erst so richtig bewusst, als ich mich mit dem Thema auseinandergesetzt habe. Nicht nur in Bezug auf Frau und Mann. Ich kann mich z. B. erinnern, dass es in meiner Kindheit in Linz Restaurants gab, an deren Tür ein Aufkleber mit „Hier dürfen keine Ausländer rein.“ hing. Wir hätten diese Restaurants zwar ohnehin nicht besucht, aber da wurde mir klar, dass ich als Halbgriechin anders bin. Dass wir etwas nicht dürfen, das andere schon dürfen. Stärker als das Thema Nationalität habe ich allerdings die Schublade der sozialen Herkunft bzw. der beschränkten finanziellen Mittel empfunden. Ich hatte es definitiv schwerer, meinen Karrierewunsch zu verfolgen. Ich hatte kein Netzwerk, habe die „Codes“ nicht verstanden. Diese Erfahrungen haben mein Leben stark beeinflusst.
Das kann ich teilen. Wenn du überlegst, inwiefern dich diese Erlebnisse geprägt haben – gibt es da etwas, das du magst und als positiv bewertest?
Ich habe mich schon immer lieber auf die Seite von Außenseitern gestellt und will auch jetzt nicht dem Mainstream angehören. Mir war lange nicht bewusst, dass diese Haltung in das Thema Diversity hineinspielt. Während ich früher meine Zugehörigkeit eher bei Randgruppen fand, ist es umgekehrt jetzt so, dass ich mich Außenseitern gegenüber solidarisch fühle und auch Partei ergreife, wenn das meines Erachtens nach notwendig ist.
Wie geht es dir mit deinem griechischen Nachnamen? Wird oft nachgefragt, woher du kommst?
Ich werde sehr oft auf meinen Nachnamen angesprochen, allerdings interpretiere ich das eher als Interesse. Wenn ich sage, dass ich Halbgriechin bin, dann reagieren die meisten Menschen positiv, weil sie mit Griechenland Urlaub verbinden und dann manchmal in Erinnerungen schwelgen. Ich bin sicher, dass die Reaktion eine andere wäre, wenn ich sagen würde, dass ich z. B. aus dem Nachbarland Türkei komme.
Wie stark fühlst du dich mit Griechenland verbunden? Holst du dir bewusst etwas von deinen Wurzeln in dein Leben?
Ich hatte kurz nach meinem Doktorat einen ganz argen Traum von Griechenland und war dann auch ein halbes Jahr dort. Ich habe einen Sprachkurs besucht und wirklich festgestellt, dass ich mit dieser Zeit in Griechenland meine Wurzeln gesucht habe. Ich war dann regelmäßig in Griechenland und habe mir in Athen und auch in dem Dorf, aus dem mein Vater stammte, einen Freundeskreis aufgebaut. Dort haben meine Schwester und ich auch ein Olivenbaumfeld, wo wir selbst Oliven hegen, pflegen und daraus Öl gewinnen. Was ich an diesem Ort besonders mag, sind die Stille und Weite. Das brauche ich – egal, ob in Griechenland oder Österreich oder sonst wo – diese Weite hat etwas mit meinen Wurzeln zu tun. Und es war bestimmt nicht immer so, aber mittlerweile empfinde ich meine griechische Abstammung als Bereicherung.
Hat diese Veränderung etwas mit deiner persönlichen Identitätsfindung und Wahrnehmung zu tun oder denkst du, dass die Welt ein kleines Stück besser im Sinne von toleranter und offener geworden ist?
Meine Einstellung zu meiner Identität hat sich auf jeden Fall verändert. Das war allerdings nichts, das von allein passiert ist. Ich musste daran arbeiten. Und mir ist erst in den vergangenen Jahren bewusst geworden, dass ich nicht die gleiche Ausgangsposition hatte wie andere. Allgemein denke ich, dass sich in einigen Bereichen wie bei Ethnien und Geschlechtern etwas positiv verändert hat bzw. es hier ein stärkeres Bewusstsein gibt. Was den sozialen Aufstieg betrifft, da sehe ich den Gedanken von Diversität noch nicht angekommen. Meiner Meinung nach ist es nicht leichter geworden, einen sozialen Aufstieg zu schaffen.
Meinst du, du bist durch deine Geschichte auch offener gegenüber anderen geworden?
Das ist schwer zu sagen. Es kommt immer wieder vor, dass ich mir meiner Vorurteile bewusst werde und das beschäftigt mich dann sehr. Was mir auf jeden Fall wichtig ist, ist, dass ich etwas „zurückgebe“ und mich für andere engagiere. Dass ich Menschen unterstütze, die extrem hart kämpfen und es trotzdem nicht schaffen. Es belastet mich, wenn ich sehe, dass jemand alles versucht und dennoch scheitert.
Wenn du zurückblickst: War es dir selbst aufgrund deiner Erfahrungen besonders wichtig, einen sozialen Aufstieg zu schaffen und Karriere zu machen?
Lange Zeit war das nicht so. Ich hatte das Gefühl, eine Außenseiterin zu sein, ich habe mich nicht in das System eingefunden und die Schule abgebrochen. Glücklicherweise gab es in meinem Leben aber zweimal die Situation, dass ich einen Mentor gefunden habe, der an mich glaubte. Einer von den beiden war ein Lehrer in der Abendschule, der mich unterstützt und nicht abgestempelt hat. Der zweite war der damalige Leiter des Studiums für Kommunikationswissenschaft in Salzburg. Ohne die beiden wäre ich heute bestimmt nicht da, wo ich bin. Nach einigen Jobs, wo ich mir selbst beweisen musste, was ich kann, habe ich gelernt, auch an mich zu glauben.
Was mir bewusst geworden ist
Egal, wie intensiv man sich mit der eigenen Persönlichkeit und den eigenen Denkmustern auseinandersetzt, und egal, mit welcher Haltung man auf andere zugeht: Jede und jeder von uns hat „unconscious bias“ (unbewusste Vorurteile). Wir kamen im Interview allerdings darauf zu sprechen, dass Helena und ich uns teilweise ärgern bzw. sogar schämen, wenn wir uns unserer eigenen Vorurteile und Vorbehalte bewusst werden. Wie geht ihr mit solchen Erfahrungen um?