arina, 36, ist Expertin für Arbeits- und Organisationspsychologie und hat langjährige HR-Erfahrung in einem oberösterreichischen Industrieunternehmen und in der Personalberatung. Während der Karenz hat sie zudem ihr eigenes Unternehmen gegründet: Als Coach begleitet Carina Führungskräfte bei ihrer Entwicklung und Unternehmen in Führungs- und HR-Fragen.

 

Carina, eine Kollegin von dir hat dich bei einem meiner LinkedIn-Beiträge markiert, weil du für die Themen Diversität und insbesondere für Gender Equity brennst. Ich freu mich schon sehr auf deine Perspektive und deine Anregungen. Magst du mir zu Beginn erzählen, was dein Interesse an diesen Themen geweckt hat?

Carina: Sehr gern, da gibt’s viele Gründe. Ich habe rückblickend gemerkt, wie wichtig weibliche Role Models für mich waren. Gerade am Beginn meiner Karriere war es toll, in einem Umfeld zu arbeiten, in dem es gleich viele weibliche wie männliche Führungskräfte gab. Das hat meine Realität geformt und mich bestärkt. Wenn eine Frau deine Chefin oder die Geschäftsführerin ist, denkt man viel eher „das könnte auch ich sein“, auch wenn das unbewusst abläuft. Dass es in industriellen, technischen Umfeldern eine größere Herausforderung ist, Frauen in Führungsrollen zu bekommen, ist auch klar. Wenn wir aber eine Antwort auf den Fachkräftemangel haben wollen – und jetzt spreche ich aus meiner Recruiting-Erfahrung – müssen wir Frauen als auch Ältere und Menschen mit Migrationshintergrund sowie weitere Minderheiten fördern. Es wird langfristig nicht möglich sein, auf diese Gruppen zu verzichten und vor allem auf junge Männer zu setzen. Zudem gibt es mittlerweile unzählige Studien, die zeigen, dass sich Diversität positiv auf die Arbeitgeberattraktivität und den Unternehmenserfolg auswirkt. Zuguterletzt ist mir das Thema ein Anliegen, weil ich selbst eine Tochter habe. Sie soll später dieselben Chancen wie ihre männlichen Kollegen haben – und zwar nicht nur theoretisch.

Was braucht es konkret, um mehr Frauen in Führungsrollen zu bekommen?

Ich finde es wichtig, Frauen und auch Minderheiten individuell zu fördern und zu stärken. Es geht darum, sich wirklich mit all seinen Besonderheiten und seinem „Whole Self“ angenommen zu fühlen, also nicht das Gefühl zu haben, einen Teil seiner Identität beim Eingang zum Büro abgeben zu müssen – Stichwort Inklusion. Ein noch größerer Hebel ist es allerdings, an den Systemen zu arbeiten. Es braucht veränderte Rahmenbedingungen, die mehr Vielfalt zulassen und auch fördern.

 

Hast du konkrete Ideen oder Anhaltspunkte, wie man diese Veränderung forcieren kann?

Ich glaube, ein ganz wichtiger Aspekt ist – und da haben wir aufgrund des Drucks durch Fachkräftemangel und demographischer Entwicklung aktuell einen guten Zeitpunkt – die Flexibilisierung von Arbeitszeitmodellen. Es muss möglich sein, verantwortungsvolle und attraktive Jobs, auch Führungspositionen, in Teilzeitbeschäftigung, etwa mit 30 Stunden auszuführen. Shared Leadership Modelle können hier auch helfen. Einige Unternehmen springen ja bereits auf diesen Zug auf. Ich habe z. B. erst kürzlich von einem kleineren oberösterreichischen Betrieb gelesen, der mit 4-Tage-Woche und Teilzeitkarriere für Männer wirbt. Ich bin überzeugt, wenn ein Unternehmen derartige Arbeitszeitmodelle kombiniert mit Home Office anbietet, dann wird es verstärkt talentierte Frauen als auch Männer anziehen. Dann bekommt ein Unternehmen die besten Talente und nicht nur diejenigen, die eine 60-Stunden-Woche einrichten können. Es gibt auch immer mehr Männer, die das nicht mehr wollen. Wer Teilzeitkräfte als Leistungsträger sieht, wird einen Wettbewerbsvorteil haben. Denn zufriedene Mitarbeiter sind auch engagierte Mitarbeiter. Mit einem kreativen Zugang lassen sich zudem offene Positionen leichter besetzen: Es muss nicht immer der junge Absolvent sein, der sich für das entsprechende Aufgabenpaket eignet. Vielleicht bringt ein Wiedereinsteiger oder älterer Bewerber nicht nur die passende Ausbildung, sondern auch wertvolle Berufs- und Lebenserfahrung mit. Zudem sollten aktuelle Praktiken im Umgang mit Mitarbeitenden auf Biases überprüft werden: z. B. im Recruiting, im Gehaltsmanagement und bei der Frage, wer eher befördert wird. Es geht nicht darum, Fingerpointing zu betreiben – denn wir alle sind Teil von den Systemen, die aktuell vorherrschen. Niemand ist schuld daran, warum es derzeit ist, wie es ist. Wenn wir aber andere Ergebnisse wollen, dann müssen wir etwas ändern.

 

Das waren jetzt viele spannende Impulse, danke Carina! Ich stelle mir auch vor, dass die Unternehmenskultur hier insofern eine zentrale Rolle spielt, als die bestehenden Mitarbeitenden auf neue „Spielregeln“ vorbereitet werden müssen, damit sie diese mittragen.

Ja, das sehe ich auch so. Es ist außerdem wichtig, zu definieren, was Führung für ein Unternehmen leisten soll. Nur so kommt man davon weg, automatisch die längst dienenden Experten in Führungspositionen zu heben – und traditionell sind das in vielen Branchen Männer. Wenn Führung nicht nur bedeutet, die meiste Fachkompetenz mitzubringen, sondern das Team bestmöglich zu organisieren und für eine gute Kommunikation zu sorgen, können Rollen neu gedacht werden. Viele Unternehmen könnten meiner Meinung nach auch einen großen Schritt Richtung Diversität machen, wenn sie sich mit den bestehenden Mitarbeitenden beschäftigen und hier nach Talenten suchen. Mit guten Möglichkeiten für den Wiedereinstieg können Frauenkarrieren gefördert werden. Man könnte auch gezielt mit Führungskräften im Unternehmen sprechen, wo man sich im eigenen Bereich vorstellen kann, Frauen als auch Menschen anderer Minderheiten speziell zu fördern und in verantwortungsvolle Positionen zu bringen. Wenn man insgesamt im Unternehmen spürt, dass Diversität und Inklusion wichtig sind und Maßnahmen getroffen werden, dann wird das nach und nach zur Selbstverständlichkeit und in allen Prozessen mitgedacht.  

 

Als Coach arbeitest du mit Führungskräften. Was fällt dir auf? Mit welchen persönlichen Herausforderungen kommen Frauen auf dich zu?

Einige Frauen bringen in den Coachings das Thema ein, wie sie Beruf und Familie unter einen Hut bekommen und ihre verschiedenen Rollen ausbalancieren können. Oft ist der gesellschaftliche Druck ein Thema, also was man als Mutter vermeintlich darf oder auch nicht darf. Da haben wir im Vergleich zu anderen Ländern noch Aufholbedarf. Eine Freundin, die demnächst aus dem skandinavischen Raum wieder zurück nach Österreich ziehen wird, hat mir z. B. erzählt, dass die Betreuung von Kleinkindern dort einen ganz anderen Stellenwert hat. Es ist normal, schon früh auf Fremdbetreuung zurückzugreifen. Zudem ist das Berufsfeld der Kinderbetreuung viel höher angesehen, der Betreuungsschlüssel ist ein anderer und die betreuenden Personen sind diverser aufgestellt. Da gibt es viele Männer, die in das Berufsfeld einsteigen, und auch ältere Personen als Betreuende. Dem Staat ist ganz bewusst, dass es wichtig ist, bereits hier anzusetzen und Diversität zu leben. Gleichzeitig werden bei der Betreuung von Kleinkindern Standards etabliert, die auf Gleichstellung zielen und gleiche Chancen für alle begünstigen sollen.

 

Wie regelst du persönlich als junge Mutter deine Balance zwischen Karriere und Familie?

Mein Mann hat einen extrem spannenden Teilzeitjob in einem Softwareunternehmen. Als unsere Tochter klein war, war auch er in Karenz und konnte danach die Stundenanzahl super easy reduzieren bzw. auch wieder aufstocken. Aktuell gibt es fixe Tage, an denen er für die Betreuung zuständig ist und wo ich mich meinem Job widmen kann. Er tut das aber nicht nur für mich, sondern es war ihm einfach auch wichtig, einen aktiven Part in der Kindererziehung zu übernehmen. Wir sind ein Team – wir tragen beide Verantwortung, begegnen uns auf Augenhöhe und gestalten unser Leben gemeinsam.

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Begriffsdefinition

“Gender equality, equality between men and women… does not mean that women and men have to become the same, but that their rights, responsibilities and opportunities will not depend on whether they were born male or female. Gender equity means fairness of treatment for men and women according to their respective needs. This may include equal treatment or treatment that is different but which is considered equivalent in terms of rights, benefits, obligations, and opportunities.”

Quelle: United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESDOC)

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Carinas Website

Im Interview haben Carina und ich über das Arbeitsumfeld hinausgehende Ebenen diskutiert, auf denen eine Veränderung hin zu mehr Diversität stattfinden kann. Von der Erziehung angefangen über gendergerechtes Spielzeug bis hin zur Wahl der Ausbildung, die meistens noch von den Eltern mitentschieden wird. Wer sich für diese Themen interessiert, kann dazu gern mit Carina und/oder mir diskutieren.

www.carinastrassmayr.com

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Was mir wieder bewusst wurde...

Ich habe selbst mal im Recruiting gearbeitet und Carina hat ähnliche Erfahrungen. Wenn ein Mann im Lebenslauf angibt, dass er verheiratet ist und Kinder hat – auch kleine Kinder –, dann ist das eher förderlich für die Bewerbung und insgesamt für die Karriere. Wenn eine Frau entweder kurz vor der vermeintlichen Mutter-Werdung steht oder kleine Kinder hat, wird automatisch davon ausgegangen, dass die Frau möglicherweise höhere Ausfallszeiten haben wird. Beides natürlich keine besonderen Karriere-Booster. Wie können wir dieser gegensätzlichen Wahrnehmung entgegenwirken? Wie können wir uns von diesen klassischen Rollenbildern lösen?

Weiterführende Literatur

beqom SA (2021). Compensation and Culture Report.
Charta der Vielfalt e.V. (2020). Diversity Trends. Die Diversity Studie 2020.
McKinsey & Company (2020). Diversity wins: How inclusion matters.
Deloitte Consulting GmbH (2021). Millenial and Gen Z Survey.
Stepstone GmbH (2020). Jetzt mit erfolgreichem Diversity-Management überzeugen.

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Kennt ihr Karriere-Sprichwörter für Frauen?

Das Interview mit Carina drehte sich stark um Beruf und Karriere. Während wir über unterschiedliche Aspekte sprachen, nutzten wir mit Augenzwinkern Redewendungen wie „Wenn die neue Kollegin dann nicht ihren Mann stehen kann“ oder „Man braucht Eier, um sich in einem männlich geprägten Umfeld zu behaupten“.

Wo sind die weiblichen Quotes? Verwendet ihr genderneutrale Idiome und Sprichwörter? Bitte teilt diese mit mir!