Filip (47) ist Head of Marketing in einem großen Industrieunternehmen. Wir kennen uns aus einem beruflichen Kontext. Thematisch drehte sich unser Interview um die Vorteile von diversen Teams, um Begrifflichkeiten, und darum, wie es einem Belgier, der seit 20 Jahren in Österreich lebt, geht.

 

Filip, ich bin sehr gespannt, was du mit Diversität verbindest und welche Perspektive du auf das Thema hast. Mit welcher Motivation hast du dich für das Interview gemeldet?

Filip: Ich beziehe sehr gern Stellung zu diesem Thema, da ich einerseits im Berufsleben die Vorteile von bunten und agilen Teams schätze und andererseits als Belgier in Österreich einige Erfahrungen teilen kann. Mir ist allgemein wichtig, dass Diversität in alle Richtungen gedacht wird, d. h. Alter, Herkunft, Ausbildung, familiärer Hintergrund, körperliche Beeinträchtigung, Wiedereinsteiger etc. Ich halte überhaupt nichts von Quoten, empfinde sie als unethisch oder zumindest unanständig. Genauso reagiere ich allergisch auf Personen, die permanent ihr „Anders-sein“ und ihre Zugehörigkeit zu einer Minderheit betonen, was auch immer sie sich dadurch erhoffen.

Welche Kriterien sind dir bei der Zusammenstellung eines Teams wichtig? Wie erlebst du dich selbst in Teams? Wie kannst du deinen Mehrwert anbieten?

Grundsätzlich bin ich fest davon überzeugt, dass jede Person ihre Könnerschaften einbringen soll und dadurch einen einzigartigen Beitrag leisten kann. Meiner Meinung nach sind diese Könnerschaften die Basis dafür, wie jemand optimal eingesetzt werden kann. Es kommt immer darauf an, was man mitbringt, wie man ein Team „aufmischt“, was anders wird, wenn man wo mitarbeitet. Für mich bedeutet das, dass ich mir Gedanken über meinen konkreten Input mache: Was ist mein Beitrag? Nur, weil ich Belgier bin, viele Kulturen kenne und verstehe und einen sehr großen Erfahrungsschatz habe, heißt das nicht, dass ich einem Team auch einen besonderen Mehrwert liefere. Das wäre für mich ein komplett falscher und unsinniger Zugang zu Diversität. Ich muss meinen Mehrwert immer wieder deutlich machen und diesen anbieten. Das gilt für uns alle: Wer sich zurücklehnt, wird bequem, und zieht irgendwann den Kürzeren.

 

Ein Belgier in Österreich ist für mich nicht wirklich exotisch. Ich finde die Aussprache sehr sympathisch und sehe keine große Angriffsfläche. Welche Erfahrungen hast du in Österreich gemacht? Fühlst du dich als „Ausländer“ behandelt?

Mein Deutsch mag sehr gut sein, dennoch brauche ich immer noch den Bruchteil einer Sekunde zum Übersetzen – also arbeite ich quasi zeitversetzt. Es war harte Arbeit, mich zu beweisen und im Marketing anzukommen – anfangs ohne Netzwerk und wertvolle „Connections“. Ich fühle mich aber nicht als Ausländer behandelt, obwohl ich einige Male nach einer Bewerbung die Rückmeldung erhalten habe, dass man sich für „jemanden von hier“ entschieden habe. Auch habe ich schon nach einer Bewerbung hören dürfen, dass man für die Position eigentlich eine Frau suche. Das finde ich hilarisch. Das ist Möchte-gern-Diversität. Dass ich in Belgien und als Mann auf die Welt gekommen bin, sind für mich nur Fakten. Ich bringe zwar vielleicht teilweise typisch belgische Eigenschaften mit, aber ansonsten bin ich ein Mensch so individuell wie jeder andere. Mein Zuhause ist, wo meine Familie ist und wo ich ich sein kann. Ob ich in ein Team oder in ein Unternehmen passe, ob ich einen Mehrwert stifte, hängt nicht mit meiner Nationalität zusammen. Ich bin nach wie vor Belgier und werde auch nie eine andere Staatsbürgerschaft beantragen. Als ich Belgien verlassen habe, hat man meine Identitätskarte vor meinen Augen zerschnitten. Ich habe seither keine Identitätskarte mehr, sondern nur mehr den Reisepass. Mir gefällt die Idee „Pass zum Reisen“ besser als „Karte mit Identität“. „Muttersprache“ und „Vaterland“ sind übrigens Begriffe, mit denen ich sehr behutsam umgehe.

 

Du hast erwähnt, dass du „angekommen“ bist. Was hat deiner Meinung nach dazu beigetragen. Kannst du daraus auch ableiten, mit welcher Einstellung unterschiedliche Personen in einem Team gut miteinander arbeiten können?

Ich habe einen unglaublichen Respekt vor der österreichischen Kultur und Tradition. Ich versuche nicht, künstlich Teil einer Gemeinschaft oder Kultur zu werden, zu der ich nicht gehöre. Dieses Gespür zu entwickeln, Unterschiede zu respektieren und zu akzeptieren, sind meines Erachtens wesentlich. Ich versuche, den anderen zu zeigen, wo meine Kompetenzen liegen, warum sich die Zusammenarbeit mit mir lohnt. Umgekehrt interessiere ich mich für die Personen in meinem Umfeld. Ich nehme mir Zeit, auf alle zuzugehen, sie zu verstehen und sie einzubinden. Ich stelle Fragen und versuche, Vertrauen aufzubauen. Ich kommuniziere sehr direkt und offen. Und das unabhängig, in welcher Position jemand arbeitet.

 

Hast du allgemein Empfehlungen, wie man ein Team im Sinne von Diversität aufbauen und zusammensetzen könnte?

Tun – statt lange zu reden: Ich halte viel davon, einfach Teams zu schaffen und unterschiedliche Konstellationen auszuprobieren. So entdeckt man Könnerschaften. Man bietet den Personen die Möglichkeit, in andere Rollen zu schlüpfen und ihre Kompetenzen zu entdecken und zu entwickeln. Bei meinem jetzigen Arbeitgeber ist die Geschäftsführung oft nur „normaler“ Teilnehmer eines Workshops. Die Personen halten sich dann wunderbar zurück und bringen ihre Ideen und Gedanken wie alle anderen mit ein – das ist einsame Klasse und wirkt magisch.

 

Welche Rolle spielt Diversität aktuell in deinem Leben? Setzt du auch privat darauf, dich mit möglichst unterschiedlichen Menschen zu umgeben?

Ich stamme aus einer Arbeiterfamilie. Meine Großeltern wie auch mein Vater arbeiteten in einem Steinkohlebergwerk. In Belgien bin ich mit Türken, Griechen, Marokkanern, Italienern, Portugiesen und Spaniern aufgewachsen. Nach dem Studium arbeitete ich in Polen und verheiratet bin mit einer Kroatin. Ich denke, ich suche die Vielfalt ganz bewusst, ich brauche sie schlichtweg. Und ich versuche, die Basis und das Verständnis für Diversität auch meinen Kindern mitzugeben. Es gilt, jede Entscheidung zu respektieren.

 

Was ich bei dir so ein bisschen mitschwingen höre, ist, dass man sich in fremden Kulturen oder in Gruppen, denen man nicht zugehörig ist, als „Fremdkörper“ freier bewegen kann. Dass man zwar akzeptiert werden und die Spielregeln verstehen sollte, um teilnehmen zu können. Dass man sich allerdings auch ein wenig außerhalb der Spielregeln bewegen kann, weil man eben nicht Teil der Gruppe ist.

Ich mag es generell, ein wenig zu „stören“ und gewohnte Muster aufzubrechen. Spielregeln gelten aber für alle, ohne Wenn und Aber. Man kann sich vielleicht ein wenig freier bewegen, weil man nicht alle Details und „Feinheiten“ kennt – und das wird einem auch verziehen. Allerdings ist durch das freie Bewegen auch das Risiko, in Fettnäpfchen zu treten, wesentlich größer. Wie bei einer Fremdsprache. Der eine Fehler ist vielleicht charmant, der andere nur peinlich. Ich positioniere mich und mache deutlich, was andere davon haben, wenn ich dabei bin. Das ist für mich die Basis, um Diversität sinnvoll zu leben.

T

Mein Learning

Eine Empfehlung von Filip für die Zusammenstellung diverser Teams ist „Tun – statt lange zu reden“. 

Wie steht ihr zu diesem Vorschlag? Welche Erfahrungen habt ihr damit gemacht? Benötigt man in einem Unternehmen ein ausgefeiltes Diversitätsmanagement mit definierten Werkzeugen und Methoden? Oder ist der wichtigere Schritt eine offene Haltung und der Blick auf die Kompetenzen und persönlichen Eigenschaften? 

Gibt es zu diesen Fragestellungen jemanden, der mit mir ein Interview führen möchte? Denkt ihr gerade an jemanden, der dazu etwas zu erzählen hat?