Reinhard (57) ist seit vielen Jahren Amtsleiter in einem oberösterreichischen Gemeindeamt. Wir kennen uns aus einem beruflichen Kontext. In den sozialen Medien nehme ich wahr, dass Reinhard sich sehr für Digitalisierung interessiert und ein extrem ambitionierter Sportler ist. Ich war sehr gespannt, inwieweit das Thema Diversität in Reinhards Leben eine Rolle spielt.

 

Reinhard, ich freu mich, dich bei so einer schönen Gelegenheit zumindest virtuell wiederzusehen. Was bewegt dich zum Thema Diversity?

Reinhard: Ehrlich gesagt habe ich mich bis vor kurzem nicht aktiv damit auseinandergesetzt. Vor einem Monat etwa hatte ich allerdings ein Gespräch mit meinem Neffen, dem das Thema enorm wichtig ist. Er ist einerseits Student und arbeitet andererseits in einem mit dem Sportministerium verbundenen Betrieb. Die geschlechterspezifische Diskussion in Zusammenhang mit der Austragung und Bewertung von sportlichen Wettbewerben beschäftigt ihn sehr. Daraus haben sich für mich einige Fragestellungen ergeben, denen ich nachgegangen bin. Und jetzt tauche ich bei diesem Interview mit dir weiter in das Thema ein und freue mich auf den Austausch. Ich mag es sehr, neue Impulse zu bekommen. Als ich mich ein wenig auf unser Gespräch vorbereitet habe, habe ich schnell festgestellt, wie vielfältig das Thema ist und dass mich Diversity auf unterschiedlichen Ebenen sehr wohl betrifft – ich war mir dessen nur nicht bewusst.

 

Das finde ich spannend, danke für dein Vertrauen! Inwiefern spielt das Thema Diversität in deinen Job als Amtsleiter einer etwa 6.500 Einwohner zählenden Gemeinde im oberösterreichischen Zentralraum hinein?

Das Thema spielt auf ganz unterschiedlichen Ebenen eine Rolle in meinem Job. Es beginnt schon formal bei den Normen und Gesetzen in Österreich. Mir ist aufgefallen, dass z. B. unsere Register nicht homogen sind. Im zentralen Melderegister gibt es die drei Geschlechter männlich, weiblich und „andere“. Im Personenstandsregister, wo u. a. Geburtsurkunden und Heiratsurkunden abgelegt werden, kann aus sechs Möglichkeiten gewählt werden. Dass hier überhaupt die Notwendigkeit gesehen wird, unterschiedliche Geschlechter abzubilden, nehme ich erst in den vergangenen fünf bis zehn Jahren wahr. Auf der anderen Seite ist mir bewusst geworden, dass sich auch unser Team in diesem Zeitraum stark verändert hat und viel bunter geworden ist. Wir haben einerseits viele unterschiedliche Nationalitäten und Altersklassen und andererseits auch vermutlich überdurchschnittlich viele Teilzeitkräfte.

 

Ich hatte bisher überwiegend Interviewpartner aus der Privatwirtschaft. Denkst du, es gibt Unterschiede zum öffentlichen Dienst?

Ja, da gibt es aus meiner Perspektive definitiv Unterschiede, die allein schon aufgrund der Rahmenbedingungen entstehen, die deutlich weniger von Konkurrenz geprägt sind. In unserem Umfeld gibt es keinen vergleichbaren Leistungsdruck mit hinterlegten Umsatzzielen, sondern vielmehr geht es um eine hohe Qualität bei Governance-Prozessen. Ich glaube, dass wir beim Thema Gleichstellung weiter sind und es keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern gibt. Wir haben z. B. auch nur ein Gehaltsschema, das an den Aufgabenbereich geknüpft ist.

 

Ich hatte mir vorab Gedanken gemacht, mit welchen Facetten von Diversität du dich vielleicht schon beschäftigt hast. Dabei hätte ich zuerst an die Verbindung mit Digitalisierung gedacht, da ich dieses Thema als sehr wesentlich für dich wahrnehme.

Digitalisierung ist mein „Steckenpferd“, das stimmt. Digitalisierung trägt aus meiner Sicht auch zu Gleichberechtigung bzw. Gleichstellung bei. Ich setze mich schon sehr lange mit diesem Thema auseinander und als Gemeinde sind wir im Bereich Digitalisierung und E-Government die Nummer 1 in Österreich. Gemeinsam mit meinem Team treibe ich Digitalisierung voran und bin hier auch Sparring Partner für andere Gemeinden. Ich teile mein Wissen sehr gern und setze alle Werkzeuge und Maßnahmen so auf, dass andere sie ganz einfach übernehmen können.

 

Was ich noch über dich weiß, ist, dass du im „mittleren“ Alter ein Studium an der Fachhochschule in Steyr begonnen hast. Wenn ich dich darauf ansprechen darf: Wie ist es dir mit deinen Mitstudierenden gegangen? Hat der Altersunterschied etwas bewirkt?

Ja, ich war mit 39 Jahren der älteste Student. Das erste Kennenlernen auf der FH fand in Form eines Spiels statt, bei dem alle aufgestanden sind und dann wurde gefragt „Wer ist unter 25?“ und alle Betroffenen haben sich gesetzt. Auf einmal war ich der Einzige, der noch stand. Mich hat das anfangs sogar betroffen gemacht, weil ich immer gewohnt war, mit gleichaltrigen oder älteren Mitmenschen zu interagieren. Ich habe mich dann aber entschieden, ganz offen mit diesem Thema umzugehen und es entstand ein schöner Prozess. Ich habe festgestellt, dass ich mich mit jüngeren Personen genauso gut verstehe und super zusammenarbeiten kann. Von dieser Erfahrung profitiere ich bis heute. Mir ist zwar damals im Studium immer wieder aufgefallen, dass meine Ideen etwas ernster genommen und besser bewertet wurden – nicht nur von den jüngeren Studenten, sondern auch von den Vortragenden. Im Endeffekt geht es aber darum, dass man offen miteinander umgeht. Dann spielt ein Altersunterschied nicht nur keine Rolle, sondern wird im Gegenteil zu etwas, das sehr bereichernd sein kann. Das erlebe ich so auch im Sport.

 

Danke für das Stichwort. Du nimmst an Triathlons teil, läufst beeindruckende Distanzen und setzt dich über jegliche Höhenmeter hinweg. Wie erlebst du Diversität im sportlichen Umfeld? Gibt es dazu Gedanken?

Als interessierter Zuseher nehme ich natürlich die starken Unterschiede wahr, die es einerseits zwischen Frauen und Männern gibt, aber andererseits auch in der Abgrenzung zum Behindertensport. Es ist irre, wie weit die Welten hier auseinander liegen, allein schon bei Preisgeldern und Medienwirksamkeit. Im erwähnten Gespräch mit meinem Neffen haben wir auch darüber diskutiert, an welchen Bewerben Transgender-Personen teilnehmen und wie fair bzw. unfair es ist, wenn als Männer geborene Sportlerinnen im Profisport gegen andere Frauen antreten. Privat und als Hobbysportler – vermutlich ist das auch teilweise abhängig von den Sportarten – erlebe ich das allerdings sehr unkompliziert. Ich trainiere gern mit Frauen, messe mich mit Jüngeren, z. B. auch mit meinen Schwiegersöhnen, und mag es einfach, gemeinsam mit anderen sportlich aktiv zu sein. Vielleicht haben Sportler tendenziell auch einen offeneren Zugang zu Diversität, weil man mit sehr vielen unterschiedlichen Personen in Kontakt kommt und Fairness allgemein großgeschrieben wird.

 

Jetzt haben wir viele spannende Aspekte zum Thema Diversität herausgearbeitet. Wie geht es dir mit diesen Überlegungen und Ideen?

Das Gespräch mit meinem Neffen und das Interview mit dir haben definitiv mein Interesse geweckt. Ich denke, dass das Thema Diversität unheimlich viel Potenzial hat. Ich sehe Diversität jetzt als Instrument, um Mitmenschen noch viel stärker zu befähigen und zu fördern und sie entsprechend ihren Qualifikationen und Kompetenzen einzusetzen.

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Was ich mir von Reinhard mitnehme

Mut! Vor allen Dingen Mut! Meinen allerersten LinkedIn-Beitrag verbunden mit einem Interviewaufruf zum Thema Diversity habe ich mit dem Hashtag „Jede:r hat etwas zu sagen“ beendet. Und darin bestärkt mich Reinhard! Egal, wie intensiv man sich bereits mit Diversität auseinandergesetzt hat, jede:r kann dazu etwas mitteilen: eigene Erfahrungen mit Schubladen, berufliche und private Erlebnisse, Karrierepläne, Ansätze für New Work, usw. Jede:r hat etwas zu sagen, das für andere ein Impuls sein kann. Es ist so spannend, diese unterschiedlichen Perspektiven kennenzulernen und aus allen Gesprächen etwas mitzunehmen. Ich nehme mir mit, dass es in erster Linie wichtig ist, überhaupt etwas zu sagen. Sichtbar zu werden zu Themen, die einem wichtig sind. Aufmerksamkeit zu erzeugen für Themen, die einen bewegen.

Reinhard hat dazu im Interview auch ein schönes Statement formuliert: „Ich bin ein sehr praktisch veranlagter Mensch und versuche immer, alles auf einen Punkt zu bringen. Für mich ist dieser Punkt erreicht, wenn Diversität etwas auslöst. Wenn jemand aufgrund struktureller Eigenschaften anders behandelt wird und darunter leidet, dann muss gehandelt werden. Wenn ich wahrnehme, dass es jemandem nicht gut geht, dann muss ich darauf eingehen.“