Ich wollte Manuela (29) schon so lange persönlich kennenlernen und mit einer Anfrage für ein Diversity-Interview hatte ich jetzt endlich einen Grund, auf sie zuzugehen. Manuela hat vor knapp 10 Jahren den Entschluss gefasst, ihren Kindheitstraum zu realisieren: Sie gründete in Tshumbe, D. R. Kongo (Afrika), einen Kindergarten. Mittlerweile ist daraus eine großartige Initiative mit 76 Mitarbeiter:innen und derzeit 338 Kindergarten- und Schulkindern geworden. Aktuell ist der Bau eines öffentlichen Krankenhauses für die gesamte Region in Planung.
Manuela, ich bin mit meiner Interviewanfrage auf dich zugegangen, weil ich dein beeindruckendes Engagement seit ein paar Jahren verfolge. Mich interessiert sehr, ob bzw. inwieweit deine Arbeit im Kongo deine Sicht auf Diversity mitbestimmt. Welchen Zugang hast du zum Thema, was bedeutet Diversität für dich?
Manuela: Diversity ist für mich sehr gegenwärtig. Ich habe in Wien Kultur- und Sozialanthropologie studiert und bin da schon mit dem Thema in Berührung gekommen. Für mich geht es im Kern um Akzeptanz und Respekt. Dementsprechend habe ich als eines von sechs Entwicklungsprinzipien bei „Zukunft für Tshumbe“ auch die „Inklusion für alle“ definiert. Das bedeutet, dass für uns alle Menschen gleichberechtigt sind – unabhängig von Alter, Status, geistiger oder körperlicher Behinderung, Religion, Hautfarbe und Geschlecht. Es gehört zu meinen Überzeugungen, dass in unserer Organisation alle gleich wichtig sind – egal, ob Wäscherin ohne Schulbildung oder Lehrer:in.
Nimmst du in Bezug auf die verschiedenen Diversitätsdimensionen Unterschiede zwischen Österreich und dem Kongo wahr?
Ja, auf jeden Fall. In Tshumbe sind z. B. Alter und Status ganz wichtige Kriterien. Je älter man ist, desto mehr Respekt wird einem automatisch entgegengebracht. Das war und ist für einige meiner Mitarbeiter:innen schon eine echte Umstellung, dass ich zwar vom Alter her ihre Tochter sein könnte, tatsächlich aber ihre Chefin bin. Mit Status wird verbunden, ob man eine Arbeit hat und welche. Der „Dorfchef“ betont seinen Status bei vielen Gelegenheiten und wird anders behandelt. Auch bei Gender ist der Unterschied viel gravierender als in Österreich. Im Kongo sind Männer per se höhergestellt als Frauen. Darum ist es für mich persönlich sehr wichtig, die Frauen besonders zu stärken. In unseren täglichen Morgenbesprechungen greife ich immer wieder das Thema auf. Ich nehme mir viel Zeit für Gespräche und besetze Führungsrollen bewusst weiblich, wenn die Qualifikation stimmt.
Wie war es für dich, als du zum ersten Mal nach Tshumbe gereist bist? Wie haben die Menschen auf dich reagiert?
Im Jänner 2013 habe ich meine erste Reise nach Tshumbe angetreten. In den ersten drei Wochen hatte ich noch jemanden als Begleitung dabei, der die ersten Kontakte geknüpft hat. Für die restlichen fünf Monate war ich auf mich allein gestellt. Das war definitiv meine härteste Reise. Auf der einen Seite hatte ich gleich in der zweiten Woche eine Lebensmittelvergiftung und dann gegen Ende meines Aufenthalts Krankheiten wie Malaria und Amöbenruhr, die nicht nur an meinen Kräften, sondern aufgrund der schlechten ärztlichen Versorgung auch an meinen Nerven gezehrt haben. Auf der anderen Seite kannten mich die Menschen in Tshumbe noch nicht und umgekehrt. Als einzige weiße Frau wurde ich immer und überall beobachtet: wie lacht die weiße Frau, wie isst die weiße Frau, warum ist die weiße Frau traurig, wie tanzt die weiße Frau und so weiter? Dass ich noch so jung war, hat auch viele irritiert. Ich wurde des Öfteren darauf angesprochen, dass ich ja quasi selbst noch ein Kind bin, und gefragt, warum ich mir einbilde, helfen zu können. Das war sehr ungewohnt, damit musste ich erst zurechtkommen. Mittlerweile ist das natürlich ganz anders.
Wie würdest du deine Rolle jetzt beschreiben? Wie sehen dich deine Mitarbeiter:innen bei „Zukunft für Tshumbe“ nach fast 10 Jahren Arbeit?
Ich habe den Namen „Waale Waana“ bekommen, was so viel bedeutet wie Mutter aller Kinder. Ich spüre ein starkes Vertrauen und Respekt mir gegenüber. Manchmal fast zu viel Respekt bzw. muss ich immer wieder klarstellen, dass ich auf keinem Podest stehe, sondern ein Teil der Gemeinschaft bin wie jede:r andere auch. Ich versuche natürlich, das Leben für die Menschen in unserer Organisation ein Stück weit zu verbessern, den Mitarbeiter:innen eine Perspektive zu geben und den Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Eine gute medizinische Versorgung ist mir sehr wichtig. Gleichzeitig muss ich natürlich verstehen, wie die Menschen im Kongo ticken und wie sie aufwachsen. Ich muss mich in ihre Gemeinschaft einfügen, mich anpassen. Ich lerne bei jeder Reise wieder etwas Neues. Was mir immer wieder auffällt, ist, dass ich mich in Tshumbe in manchen Facetten anders verhalte als in Österreich. In Tshumbe ist z. B. alles laut, jeder spricht laut. Wenn alles gut läuft, dann zeigt das jeder. Wenn etwas nicht passt, zeigt man das auch. Diese Direktheit habe ich gelernt. Daher gehe ich mit den Menschen in Tshumbe anders um als mit den Menschen in Österreich.
Worüber ich gerade nachdenke: Die Gesellschaft in Tshumbe funktioniert großteils ganz anders als bei uns. Du hast z. B. angesprochen, dass Frauen einen geringeren Stellenwert haben als Männer. Was meinst du, wie deine Mitarbeiterinnen damit umgehen, dass du ihnen eine „andere Welt“ zeigst? Wie geht es Ihnen, wenn sie die Kluft erleben zwischen der Realität in der Region und der Realität bei „Zukunft in Tshumbe“?
Ich führe sehr viele Gespräche mit den Männern und Frauen in unserer Organisation. Ich habe schon das Gefühl, dass ein Umdenken einsetzt und dass einige in mir ein Vorbild sehen. Den Frauen gibt es enorm viel Selbstbewusstsein, wenn sie eine Führungsrolle übernehmen und spüren, dass sie den Ton angeben dürfen. Wenn die Menschen sehen, was wir alles in den vergangenen Jahren aufgebaut und geschaffen haben, dann bestärkt uns das alle gemeinsam. Es kommen auch fast täglich Menschen aus der Region zu uns, die mitarbeiten wollen. Mit dem Krankenhaus, das wir jetzt errichten und das öffentlich zugänglich sein wird, schaffen wir auch etwas für die Region. Zusätzlich tragen die Lehrer:innen und Krankenpfleger:innen, die wir ausbilden, ihr Know-how in andere Gemeinden und schulen dort das Personal. Vergangenes Jahr haben wir dazu noch einige Trinkwasserbohrungen in der Region durchgeführt und wollen das vielen weiteren Dörfern ebenfalls ermöglichen. Wir versuchen also, auch außerhalb unseres Zentrums von „Zukunft für Tshumbe“ etwas zu verändern, um diese Kluft zu verkleinern.
Mir imponiert sehr, dass du bereits als Kind so eine starke Vision hattest und diese dann auch umgesetzt hast. Du bist mit gerade mal 20 Jahren nach Tshumbe und hast dort mit einer Lehmhütte deinen Traum gestartet. Kannst du dich noch erinnern, was diesen Wunsch getriggert hat?
Nicht wirklich, es gab bestimmt mehrere Impulse. Was mir aus meiner Kindheit in Erinnerung ist, ist der Satz „Iss auf, weil die Kinder in Afrika haben nichts zu essen“. Meine Eltern hatten auch davon gesprochen, dass sie über die Adoption eines Waisenkindes nachdenken – wobei ich nicht mehr weiß, wie konkret dieses Gespräch war und ob das vielleicht nur einmal erwähnt wurde. Ich habe als Jugendliche auch eine dicke Mappe mit Zeitungsberichten über Hungersnöte, Armut und ähnliche Katastrophen auf der ganzen Welt befüllt. Diese Ungleichheit hat mich immer beschäftigt. Ich wollte verstehen, warum ich so gut leben kann und andere nicht. Hier einen Beitrag für mehr Gerechtigkeit zu leisten, motiviert mich bis heute.
Manuelas Initiative im Kongo
www.zukunft-fuer-tshumbe.or.at
Auf dieser Website findet ihr viele Infos zu Manuelas großartiger Initiative.
