Katharina (31) ist als One-Woman-Show selbständig und übernimmt einerseits bei agilen Softwareprojekten die Rolle des Product Owner, in der sie eine Schnittstelle zwischen Business und Programmierenden bildet und dabei unterstützt, die Anforderungen zu definieren. Sie bietet andererseits Unterstützung im Bereich User Experience, etwa beim UX Writing. So wenig ich von ihrem Berufsfeld verstehe, menschlich hat es bei mir gefunkt. Das Interview war unser erstes Aufeinandertreffen. Ich wünsche mir, dass es nicht das letzte bleibt. Katharina hat für mich viele spannende Aspekte aufgeworfen. Ich werde u. a. darüber nachdenken, wie sehr Männer davon profitieren, dass traditionell beinahe 50 % der „Konkurrenz“ um eine Führungsposition im Alter zwischen 30 und 40 Jahren „wegbrechen“.
Katharina, ich freu mich sehr, dich auf diesem speziellen Weg kennenzulernen. Was bewegt dich zum Thema Diversity?
Katharina: Ich habe mir in den vergangenen Monaten immer wieder Gedanken über das Thema Diversity gemacht bzw. bin durch unterschiedliche Impulse darauf aufmerksam geworden. Als Vorbereitung auf das Interview habe ich versucht, den Begriff für mich zu definieren. Dabei ist das Bild einer Idealsituation entstanden, in der alle Menschen an einem Tisch Platz nehmen, ohne dass man sie einzeln dazu holen muss – unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Ausbildung, ihres Geschlechts, ihres Alters, usw. Das Ziel von Diversity Management sollte quasi sein, dass es sich selbst eliminiert. Und obwohl ich denke, dass der „vollkommene“ Zustand eine Utopie bleibt, sollten wir unbedingt Maßnahmen ergreifen, um diesen anzustreben und der Ungleichheit entgegenzuwirken.
Mehr Frauen für MINT-Berufe zu begeistern, ist das Ziel zahlreicher Initiativen. Die Abkürzung steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Du hast dich während der Pandemie als junge Frau im IT-Bereich selbständig gemacht. Wie hast du diesen Schritt erlebt?
Ich habe im ersten Lockdown sehr viel nachgedacht, mich auch mit meinem Berufsleben auseinandergesetzt und so entstand der Wunsch nach einem eigenen Unternehmen. Schließlich habe ich ohne lange Planung den Schritt gewagt. Ich dachte, wenn nichts daraus wird, dann habe ich zumindest vieles gelernt. Einige in meinem Umfeld waren sehr überrascht über diesen Schritt. Was mir als introvertierte Person auf jeden Fall entgegenkommt, sind die seit der Pandemie viel stärker genutzten virtuellen Möglichkeiten der Vernetzung und Zusammenarbeit. Das klassische Networking, z. B. auf Konferenzen, ist für mich eher der blanke Horror. Bei Online-Meetups fühle ich mich deutlich wohler. LinkedIn bietet außerdem für mich eine gute Möglichkeit, mein Wissen zu positionieren. In meinen Beiträgen liefere ich Tipps mit und erziele damit regelmäßig Kundenanfragen. Bevor ich mit anderen dann tatsächlich ins Gespräch komme, haben wir schon ein erstes Bild voneinander und sind uns nicht mehr ganz fremd.
Du hast angesprochen, dass du eine eher introvertierte Person bist. Das ist für mich auch ein spannender Aspekt von Diversity, da Studien immer wieder zeigen, dass sich im Berufsleben „laute“ Typen deutlich besser behaupten können. Welche Qualitäten deiner Introversion zeichnen dich für deinen Job aus? Wo siehst du deine Stärken?
Ich denke auf jeden Fall, dass ich enorm davon profitiere, dass ich viel beobachte, gut zuhören und mich in andere hineinversetzen kann. Ich sauge wie ein Schwamm alle Informationen auf und kann dadurch die Anforderungen der verschiedenen Stakeholder gut erfassen. Zu meinem Berufsfeld gehören im Rahmen von UX Research z. B. auch qualitative Interviews und Usability Tests. Dabei fällt mir oft auf, wie schwer es eigentlich ist, sich in andere Personen hineinzuversetzen, wenn man sich nicht explizit zu einem Thema austauscht und nicht bewusst Dinge hinterfragt. Und dass Lösungen, die in einem Bereich oder einer Branche gut funktionieren, für eine andere Personengruppe vollkommen ungeeignet sind. Wenn ich das auf Diversity übertrage, lässt sich nachvollziehen, dass als Beispiel selbst in einer Runde von feministischen Männern vielleicht nicht auffällt, wenn jemand eine frauendiskriminierende Aussage tätigt. Ich denke, das ist bei Diversity generell ein Thema, dass die Gruppen, die noch nicht inkludiert sind, nicht gesehen und in Folge auch nicht gehört bzw. verstanden werden.
Spannender Gedanke. Hast du allgemein das Gefühl, dass sich hier in den vergangenen Jahren etwas bewegt hat? Wie nimmst du deine Chancen und Möglichkeiten im Vergleich zu männlichen Kollegen wahr?
Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass ich die gleichen Chancen habe. Allerdings hängt es meiner Meinung nach vom Umfeld ab, ob man sich als Frau dafür extra anstrengen und beweisen muss. Ich kann mir aber vorstellen, dass das für Mütter im Gegensatz zu kinderlosen Frauen nochmal ganz anders ist. Ich glaube, dass man da noch viel stärker in traditionelle Rollenerwartungen gedrängt wird.
Stichwort MINT: Wie hast du den Genderaspekt während deines Studiums wahrgenommen? Zieht es nach wie vor mehr Männer als Frauen in den IT-Bereich?
Ich habe an der Fachhochschule Hagenberg den Zweig Kommunikation, Wissen, Medien studiert. Bei diesem interdisziplinären Studium verbringt man etwa ein Drittel der Zeit mit Programmieren, den Rest mit Sozialwissenschaften, Medien und Kommunikation. Da waren wir eigentlich mehr Frauen als Männer. Allgemein merke ich schon, dass mehr Männer einen IT-Beruf ausüben und vor allem Führungspositionen hauptsächlich männlich besetzt sind. Es kann aber gut sein, dass sich das in den kommenden Jahren verändert – zumindest nehme ich das in meinem Umfeld so wahr. Es gibt, glaube ich, immer mehr Frauen, die beruflich mehr Verantwortung übernehmen und führen wollen.
Beispiele
Katharina hat zwei Beispiele für positive und negative Erfahrungen in Bezug auf frauendiskriminierende Äußerungen erzählt. Ich will diese beschreibenden Situationen mit euch teilen und – nachdem ich sie gut nachvollziehen kann – etwas verallgemeinern:
Wenn wir Frauen uns auf LinkedIn oder anderen Nicht-Singleplattformen zeigen, dann wollen wir keine Reaktionen wie „Hey Sweetie, I like your smile!“ oder dergleichen. Eine Äußerung wie „Süßes Foto“ kommt bei uns eventuell nicht positiv an und wird als Grenzüberschreitung empfunden. Wir positionieren uns zu einem Thema, zu einem professionellen Content und wollen eventuell Business generieren.
(Wer jetzt aufgrund des Wortes „professionell“ Kopfkino hat, liest den Absatz bitte gleich nochmal von vorn 😉)
Wir sind nicht automatisch für Kaffee und Getränke zuständig! Katharina hat erzählt, dass sie bei einer früheren beruflichen Station in einem Kennenlerntermin mit einem Kunden dabei war und ihr Chef das Projekt präsentierte. Der Kunde meinte auf einmal zu ihr, dass er gern noch einen Kaffee hätte. Daraufhin hat Katharinas damaliger Chef die Präsentation unterbrochen, alle im Raum nach ihren Getränkewünschen gefragt und anschließend veranlasst, dass diese in den Besprechungsraum geliefert werden. Guter Chef!