Gerhard (44) ist ein ehemaliger Arbeitskollege. Er hat sich auf meinen Interviewaufruf gemeldet und anschließend inhaltlich vorbereitet. Zu vier konkreten Themen hatte er Stichworte mitgebracht: Familie mit zwei Töchtern, Freunde, Beruf und Hobbys. „Seit ich begonnen habe, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen, hat sich eine Art Automatismus entwickelt – bei vielen Alltagssituationen denke ich auf einmal über Vielfalt nach“, erzählt Gerhard. Das freut mich sehr!

 

Gerhard, lässt du uns an einer dieser Alltagssituationen teilhaben?

Gerhard: Ja gern. Ich war z. B. vor kurzem wieder beim Barber meines Vertrauens und hatte Lust zu plaudern. Manchmal will ich aber auch einfach in Ruhe dasitzen und nicht sprechen. „Mein“ Barber spürt mein Bedürfnis bereits, wenn ich in den Shop komme. Das finde ich extrem angenehm und bin daher ein treuer Kunde. Dieses Gespür für Menschen habe ich in Bezug auf Vielfalt reflektiert. Ich finde, die Art und Weise der Kommunikation ist sehr vielfältig – abgestimmt auf unterschiedliche Personen, Bedürfnisse, Stimmungen. Damit verbinde ich eine offene Haltung gegenüber anderen. Das ist meiner Meinung nach eine wichtige Basis für Diversität.

Was hast du zum Thema Beruf notiert?

Mein Lebenslauf würde in so manchem Bewerbungsprozess vor Runde 1 aussortiert werden: zu viele unterschiedliche Stationen, zu wenig Kontinuität. Aktuell bin ich selbständig im Vertrieb für mehrere Unternehmen, u. a. für eine Waldviertler Fertighausfirma. Das gefällt mir, weil es eine kernige Marke ist und ich selbst von dort abstamme. Weil meine Interessen sehr vielschichtig sind, habe ich vieles ausprobiert – auch über die Grenzen meiner Ausbildung hinaus.

 

Ich habe dich als Kollegen in Erinnerung, der gut mit unterschiedlichsten Menschen umgehen kann und in Konflikten eine vermittelnde Rolle einnimmt. Ist es diese Fähigkeit, Beziehungen herzustellen, die dich in unterschiedlichen beruflichen Stationen auszeichnet?

Das spielt auf jeden Fall mit hinein. Wenn ich z. B. Häuser plane und verkaufe, dann ist kein Gespräch wie das andere. Manche Kunden benötigen detaillierte Zahlenaufstellungen und brauchen das Erfolgserlebnis in der Preisverhandlung, andere entscheiden komplett aus dem Bauch heraus und kaufen, wenn sie sich mit dem Produkt und mir wohlfühlen. Von einer Dame habe ich mal den Satz gehört „Herr Pfeiffer, Sie sind mir sympathisch. Aber das ist das einzige Kriterium, das sich nicht im Geringsten auf meine Entscheidung auswirken wird.“

 

Du hast auf die „kernigen Waldviertler“ verwiesen [Anm. das Waldviertel ist eine Region im Norden Österreichs]. Welche Stereotype verbindest du mit dieser Kategorisierung? Wie kommt es zu dieser „Kernigkeit“?

Ich mag Stereotype, ohne sie zu ernst zu nehmen. An den Waldviertlern nehme ich wahr, dass sie eher introvertiert sind. Sie öffnen sich nicht sofort und machen manchmal einen „grantigen“ Eindruck. Sie – bzw. eher wir, denn ich stamme ja wie gesagt von dort ab – pflegen eher weniger, dafür intensive und belastbare Freundschaften. Ich denke, das Naturell der Menschen ist stark von der Umgebung geprägt. Im Waldviertel ist die Landschaft eher schroff und karg, es ist die kälteste Region Österreichs. Diese regionalen Unterschiede fielen mir extrem auf, als ich einen Außendienstjob hatte, der mich durch ganz Österreich geführt hat. Ich denke auch, dass es z. B. einen Unterschied macht, wenn es in einer Region viele Industriebetriebe gibt und die Menschen beruflich anders ticken müssen. Das wirkt sich auch auf die Persönlichkeiten aus.

 

Auf deine zwei Töchter möchte ich dich noch ansprechen. Es gibt Studien, die zu dem Ergebnis kommen, dass Topmanager dann besonderes Interesse an Diversity entwickeln, wenn sie Töchter haben. Beschäftigt dich der Gedanke, dass deine Mädchen möglicherweise nicht die gleichen Chancen haben wie Männer?

Meiner Frau und mir ist es wichtig, dass unsere Töchter sich ausprobieren und ihren Interessen nachgehen – sofern das natürlich in unser Werteschema passt. Meine ältere Tochter Maya geht in ein „Gymnasium für Studierende der Musik“ und strebt auch eine entsprechende akademische Ausbildung an. Wenn sie kocht, würzt sie nur mit Salz. Die Kleinere dagegen hat in den Ferien ein Seminar bei einem renommierten Koch gemacht, weil sie extrem talentiert ist und sehr kreative, leckere Gerichte zaubert. Ich mache mir weniger Gedanken, dass unsere Töchter aufgrund des Geschlechts weniger Chancen haben. Wir wollen unseren Mädels vermitteln, dass sie etwas erreichen können, wenn sie ihre Fähigkeiten und Leidenschaften leben. Das unterstützen wir mit einer möglichst guten Ausbildung. Und indem wir unseren Töchtern mitgeben, dass sie sich in einer männlich dominierten Welt durchsetzen können, wenn sie es wollen.

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Gedanken von Gerhards Töchtern

Ich konnte mich zum Thema Diversity auch mit Mavie (11) und Maya (16), den Töchtern von Gerhard, austauschen. Folgendes teile ich gerne mit euch:

Maya erzählt davon, dass sie das Berufsbild einer Musiklehrerin verfolgt. Sie sieht in diesem Bereich keine Benachteiligung von Frauen und erwartet sich die gleichen Berufschancen. Was sie anspricht, ist der starke Konkurrenzkampf zukünftiger Profimusiker:innen, der sich bei Wettbewerben in der Schule deutlich zeigt.

Mavie geht in ein Gymnasium mit Schwerpunkt Tanz (eine reine Mädchenklasse). Ihre Leidenschaft gehört aber dem Kochen und danach richtet sie aktuell ihre Karrierepläne aus. Sie nimmt wahr, dass mehr Männer als Frauen diesen Berufsweg einschlagen und sieht den Grund darin, dass Männer sich eher für den Beruf interessieren als Frauen. Mavie geht davon aus, die gleichen Chancen zu haben.

Die Eltern von Mavie und Maya fördern die Talente ihrer Kinder und ermutigen sie, ihre eigenen Wege zu gehen. Das wird von den beiden bestätigt. „Mama und Papa versuchen, uns vieles zu ermöglichen. Mir ist bewusst, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, dass ich eine Privatschule besuchen kann. Ich denke nicht, dass allen Jugendlichen die gleichen Chancen offenstehen wie uns“ sagt Maya.

Ich habe die beiden gefragt, wie sie die Rollen von Mama und Papa in der Erziehung wahrnehmen. Als Töchter erleben Mavie und Maya, dass sich beide Elternteile einbringen: Die Mama ist zwar mehr zuhause, aber der Papa ist für die Mädchen greifbar. „Ich finde es sehr wichtig, dass Kinder männliche und weibliche Bezugspersonen haben – in meinem Fall, dass sich Papa und Mama um uns kümmern und präsent sind“, erzählt Maya. „Wenn ich einmal Mama werde, wünsche ich mir auch, dass beide Elternteile einen aktiven Part übernehmen und sich die Aufgaben gut aufteilen.“

Ich habe Mavie auf ihren coolen Kurzhaarschnitt angesprochen. „In der Volksschule wurde ich deswegen ein paar Mal geärgert, aber ich habe gelernt, das auszublenden. Ich fühle mich wohl und mir gefällt meine Frisur. Das ist auch Vielfalt – zu akzeptieren, dass jeder über sein Aussehen entscheiden darf“, erzählt Mavie. Sie bringt dazu ein Bild, das ihr ihre Mama mitgegeben hat: Eine Herde von weißen Schafen, in der Mitte ein schwarzes Schaf. „Meine Mama hat gesagt: ‚Nicht das schwarze Schaf ist anders, sondern die weißen Schafe sind alle gleich.‘“ Maya ergänzt: „Ich finde es zum Thema Vielfalt so spannend, wie unterschiedlich Menschen sind. Wenn ich z. B. von einem Café in der Stadt aus beobachtend in die Menge schaue, dann gibt es so viele verschiedene Typen und Persönlichkeiten. Und dabei sehe ich nur die ‚Fassade‘. Im Prinzip ist jeder Mensch ein Unikat – wir haben Gemeinsamkeiten mit anderen, aber eben auch Unterschiede.“

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Typisch männlich: Vielfalt am Griller

Gerhard ist Mitglied der „Woodquarter Smokerheads“ (Staatsmeister 2019), eine seiner liebsten Freizeitbeschäftigungen ist das Grillen. Bei einer Hobbymeisterschaft traten 12 Teams gegeneinander an, die eine Box mit Zutaten erhielten und die Anweisung, daraus Vor-, Haupt- und Nachspeise zu zaubern. Als die fertigen Gerichte präsentiert wurden, war kein Gericht wie das andere. Vielfalt zu riechen, zu schmecken und schön anzuschauen!