Claudia Novak bietet Frauen eine Bühne, um sich selbst auszuprobieren und ein starkes Vertrauen in die eigenen Kompetenzen zu entwickeln. Die Gender-Dimension war ein wichtiger Aspekt in unserem Gespräch, das sich allerdings viel allgemeiner um das Thema Diversity gedreht hat. Claudia hat viele interessante Blickwinkel in das Interview eingebracht, die für mich spannendsten teile ich mit euch.
Claudia, ich freue mich sehr auf deine Perspektive und deine Erfahrungen. Du hast mit „Women on Stage“ eine Plattform geschaffen, um Frauen zu stärken und zu fördern. Welche Motivation steckt hinter dieser Berufung?
Claudia: Die Beweggründe liegen in meiner persönlichen Geschichte. Ich habe immer wieder – auch bei mir selbst – erlebt, dass Frauen ihr Licht unter den Scheffel stellen. Das macht mich nach wie vor betroffen. Mit „Women on Stage“ lege ich den Finger auf genau diese Wunden: allerdings nicht, um wehzutun, sondern um gemeinsam zu heilen. Frauen stellen sich oft die Frage, ob sie gut genug sind, ob sie genug wissen, ob genügt, was sie mitbringen. Das Ziel meiner Coachings und Workshops ist, dass die Teilnehmerinnen diese Frage mit einem deutlichen „JA“ beantworten und Selbstzweifel beiseiteschieben. Ich habe mich auch bewusst nicht auf das Interview mit dir vorbereitet. Normalerweise wäre der „Braves-Schulmädchen“-Zugang, dass ich mich einlese und mir externes Wissen aneigne. Aber ich wollte mit meiner aktuellen Perspektive auf das Thema an den Start gehen.
Das klingt gut, ich freu mich. Was bedeutet Diversity für dich? Was hat dich veranlasst, meinem Interviewaufruf zu folgen?
Ich mag es, Themen, die gerade en vogue sind, in die einzelnen Facetten zu zerlegen. Mir kommt vor, je trendiger ein Begriff wird, desto eher läuft er Gefahr, dass er schwarz-weiß oder instrumentalisiert wird, dass er zu schmückenden Federn wird. Bei Diversität finde ich das besonders spannend, weil der Begriff an sich für Vielfalt und Facettenreichtum steht und Ambivalenzen feiert. Für mich bedeutet Diversität, dass aus einem ENTWEDER/ODER ein UND wird. Das Ziel ist demzufolge, dass wir Vielfalt erkennen und anerkennen. Dass wir akzeptieren und schätzen, dass vieles gleichzeitig nebeneinanderstehen kann. Mich hat immer das größere Ganze interessiert, und um dieses wahrnehmen zu können, braucht es unterschiedliche Blickwinkel und Sichtweisen.
Hast du selbst versucht, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen bzw. deine Perspektive zu erweitern? Kann eine offene Haltung deiner Meinung nach „trainiert“ werden?
Auf jeden Fall! Ich bin mit 16 Jahren von der oberösterreichischen Kleinstadt nach Australien gegangen, um meinen Mikrokosmos in Relation zu setzen. Viele lehrreiche Erfahrungen in Bezug auf interkulturelle Vielfalt habe ich während meiner beruflichen Tätigkeit in der Europäischen Kommission in Brüssel, in internationalen Anwaltskanzleien und im NS Entschädigungsfonds gesammelt. Bei meiner Dissertation 2005 habe ich als Thema den vermeintlichen Widerspruch zwischen ökologischen und ökonomischen Interessen aufgegriffen. Damals war das eine ENTWEDER/ODER-Entscheidung bzw. nehme ich das auch heute noch so wahr. Dabei ist es das ganz und gar nicht! Die Vielfalt an Interessen gebündelt zu sehen, ist für mich gesellschafts- und unternehmenspolitisch enorm wichtig.
Ich finde spannend, dass du das Thema Umwelt ansprichst. Hast du eine Meinung zu meiner These, dass vielfältigere Teams einen stärkeren Fokus auf Nachhaltigkeit legen, weil diese Aspekte automatisch mitgedacht werden?
Ja, das sehe ich auch so. Umwelt und Wirtschaft sind kein ENTWEDER/ODER, sondern definitiv ein UND. Wir müssen beides nebeneinander verfolgen. Und das entspricht genau dem Ansatz, den Diversität uns vorgibt und den wir auch bei Diversität verfolgen sollten. Ich bin überzeugt, wenn wir alle Perspektiven zusammenlegen, dann ist das auf jeder Ebene bereichernd – für das Individuum, die Organisation und die Umwelt. Wir müssen wegkommen von den Gut/Böse- und Gewinner/Verlierer-Narrativen aus Bibel und Märchen, die unsere Gesellschaft stark prägen. Weg von der „Gewinner-Philosophie“ hin zu einem gegenseitigen Bestärken, hin zu einer offenen Haltung. Dann können wir gemeinsam an den wichtigen Themen arbeiten.
Du hast Ambivalenzen angesprochen und das Thema Konfliktpotenzial in diversen Teams war auch Teil meines Interviews mit Hubert Nagele. Ich denke, dass es in diversen Teams notwendig ist, dass unterschiedliche Meinungen auch nebeneinander stehen können und nicht immer alles bis ins Detail ausdefiniert werden kann. Wie siehst du das?
Bei uns geht es immer noch sehr viel darum, wer recht hat, welche Meinung mehr zählt. Von dieser Einstellung müssen wir Abstand nehmen. Für mich beinhaltet Diversität den Mut zum Widerspruch – „we agree to disagree“. Es geht darum, sich selbst in Frage zu stellen und auch von anderen in Frage stellen zu lassen. Mir fällt dazu eine Zeile aus dem Stück „Faust“ von Johann Wolfgang von Goethe ein: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“. Wir alle haben unterschiedliche Anteile und Pole in uns selbst. Die gleiche Vielfalt potenziert sich in jedem Kollektiv. Diese Unterschiedlichkeiten auszuhalten und das Spannungsfeld als Quelle für Neues zu sehen, ist im Kern der große Benefit von Diversität.
Ich möchte noch einmal auf das Thema Frauen bzw. auf dein Coaching- und Seminarangebot „Women on Stage“ zurückkommen. Warum richtest du dein Angebot ausschließlich auf Frauen aus? Wie beeinflusst „unter-sich-sein“ die Qualität deiner Seminare?
Unsere Gesellschaft war über Jahrhunderte geprägt von Formaten, die nur Männer adressieren. Eigentlich amüsant, dass wir die kurze Geschichte der Frauenformate dennoch immer wieder erklären und rechtfertigen müssen. Rhetorik war in ihrer Geschichte seit Aristoteles „a man’s world“. Frauen wurde über Generationen vermittelt, dass ihre Stimme öffentlich nicht von Bedeutung ist. Damit verbundene systemische Verhaltensmuster, Glaubenssätze und Rollenbilder sitzen tief und lassen Frauen oft selbstkritischer und zurückhaltender sein, wenn es darum geht, Raum auf Bühnen einzunehmen. Es macht mich immer wieder betroffen, wie viele Frauen das Gefühl in sich tragen, nicht gut genug zu sein. Unglaublich, wie viele Frauen nicht sehen, wie großartig sie sind und stattdessen nur den Fokus auf ihre Defizite richten. Meine Seminare sind ein safe space backstage, wo sich Frauen erproben und entfalten, um dann sicher und voller Freude auf ihren Bühnen zu sein. Ich hätte mir anfangs selbst nie gedacht, welche Kraft in so einer Runde steckt, wenn sich Frauen gemeinsam auf den Weg machen und sich bei den typischen Hürden und Hindernissen gegenseitig bestärken. Die Energie in meinen Frauenseminaren ist grandios. In Wahrheit verliebe ich mich bei jedem Seminar in die Teilnehmerinnen.
Profitieren deiner Erfahrung nach auch Männer von diversen Female Empowerment bzw. von Frauen im beruflichen Umfeld?
Ja, ganz klar. Mein Anspruch ist nicht, nur Gerechtigkeit zwischen Männern und Frauen zu schaffen. Das ist ohnehin eine Voraussetzung, die seit langem bestehen sollte. Female Empowerment ist eine Notwendigkeit für eine nachhaltige Gesellschaftsgestaltung. Wir brauchen Perspektivenvielfalt – die gesamte Menschheit lebt davon, dass es männliche und weibliche Energien gibt. Ich spiele dazu gerne das Vier-Augen-Prinzip weiter in eine größere Dimension: Das Vielfalts-Vier-Augen-Prinzip schaut mit vielen Augen auf ein Thema, um einen größeren Kontext zu haben und das „bigger picture“ zu sehen. Female Empowerment gibt meiner Meinung nach auch Männern eine Bühne, um die weiblichen Anteile in ihnen zuzulassen. Alle modernen Leadership Modelle beinhalten typisch weibliche Aspekte: bestärken statt gewinnen, empathisch Raum schaffen für Talente statt Direktiven von oben. Ich bin überzeugt, dass das die Zukunft ist.
Mein Learning
Ich habe mit Claudia ein Statement aus dem Interview mit Axel Kühner reflektiert. Axel Kühner meinte, dass Frauen solange bevorzugt werden müssen, bis eine Gleichstellung erreicht ist. Genau darum braucht es meiner Meinung nach Initiativen wie „Women on Stage“. Wir müssen Frauen und anderen Minderheiten eine Bühne geben, um sich zu zeigen und auf die eigenen Bedürfnisse aufmerksam zu machen. Erst wenn wir alle auf der gleichen Bühne agieren, können wir auf Augenhöhe in diversen Teams zusammenarbeiten und die besten Lösungen für alle finden.
Der indische Elefant
Claudia hat im Interview mit Worten ein sehr schönes Bild gemalt:
Das Universelle, das uns alle zusammenhält, ist wie ein Elefant. Eine einzelne Ameise, die auf dem Ohr des Elefanten krabbelt, sieht nur das Ohr. Eine andere, die gerade am Rüssel unterwegs ist, widerspricht: „Das ist länglich, das kann kein Ohr sein.“ Erst wenn ich von allen Ameisen die Blickwinkel einfange und alle Perspektiven vereine, habe ich eine Chance das ganze Bild des Elefanten zu erfassen. Der Reichtum an vielfältigen Blickwinkeln hilft uns, „the bigger picture“ zu sehen.
Definition: Insecure Overachiever
Damit ist gemeint, dass man Angst hat, nicht gut genug zu sein, und die eigene Unsicherheit mit Extra-Performance ausgleichen will.
Dazu findet ihr z. B. unter diesem Link Informationen:
Fragen, die wir uns stellen sollten
Wie bespielt ihr die Bühne eures Lebens? Seid ihr Hauptdarsteller:in oder übernehmt ihr eine Komparsenrolle? Schreibt ihr das Drehbuch oder übernehmt ihr nur die Dialoge? Werden auf deiner Bühne klassische Werke mit großem Orchester oder Neuinszenierungen mit kreativer Interpretation gespielt? Interessiert, inspiriert und berührt dich das Stück oder hast du Lust auf etwas Neues?