Anna Engers (47, Frankfurt) beschäftigt sich seit vielen Jahren intensiv mit Diversity. Als Diversity Coach begleitet sie Unternehmen bei kleinen und großen Schritten hin zu diverseren Teams und motivierten, agilen Organisationen. „Für gute und motivierte Beschäftigte ist ihre Arbeit kein Job, sondern Teil ihres Lebensentwurfs“, ist Anna überzeugt. Sie brennt für das Thema Diversity – ihre Beweggründe und ihre Überzeugungen teilt sie im Interview mit uns.

 

Anna, ich freu mich sehr, dass wir uns Zeit für ein Interview nehmen! Ich habe dein Buch „Komplexität von Diversity meistern: Wie Sie das „Popcorn im Kopf“ sortieren und Lust auf Vielfalt im Unternehmen bekommen“ gelesen und ja: Ich habe definitiv Lust auf Vielfalt. Was war deine Motivation, ein Buch zum Thema Diversity zu schreiben?

Anna: Wir verbringen so viel Zeit unseres Lebens bei der Arbeit – da sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass man sich zeigen darf, wie man ist. Ich will für Diversity begeistern, weil es nach wie vor sehr viel ungenutztes Potenzial gibt und ich von der Überlegenheit diverser Teams in Unternehmen überzeugt bin. In meiner Wahrnehmung hat das Thema durch die Coronapandemie einen enormen Aufwind erfahren. Viele Unternehmen haben Diversity auf ihre Agenda gesetzt. Wir sind allerdings noch lange nicht dort, wo wir hinsollten. Es geht immer noch darum, Diversität zu erklären und die Vorteile aufzuzeigen. Dazu ein Zitat von Vernā Myers: ”Diversity is being invited to the party. Inclusion is being asked to dance.“ Diversity heißt, zur Party eingeladen zu werden. Inclusion ist, wenn man auch zum Tanzen aufgefordert wird. Genau darum geht es mir! Diversity ist der erste Schritt, Inklusion der nächste.

Wie wurdest du auf das Thema aufmerksam? Was waren deine Beweggründe, dich mit Diversität auseinanderzusetzen?

Ich beschäftige mich seit etwa zehn Jahren mit Diversity. Ich bin ausgebildete Juristin und habe damals die Pressearbeit für eine große amerikanische Kanzlei gemacht. Da habe ich immer wieder erlebt, wie hochqualifizierte Frauen nach der Babypause nicht wiederkamen. In dieser Zeit habe ich mich zum ersten Mal mit Diversität auseinandergesetzt. Als ich das Thema allerdings im Unternehmen angesprochen habe – und nachdem es ein amerikanisches Unternehmen war, wurde das in Teilen tatsächlich diskutiert –, war die Reaktion, dass das in Deutschland eher kein Thema sei. Daraufhin habe ich mich selbständig gemacht, weil ich einfach gemerkt habe, dass Diversität genau mein Thema ist. Ich bin sehr neugierig auf Menschen und wünsche mir eine Unternehmenskultur, die allen gerecht wird.

 

Als Diversity Coach begleitest du Unternehmen mit Impulsvorträgen, Coaching und Workshops. Welche Erfahrungen machst du? Über welche Wege und Methoden kann Diversity gut im Corporate-Kontext platziert werden? Welche Fehler machen Unternehmen?

Vor der Pandemie wurde ich manchmal für einen einzelnen Vortrag gebucht und mir kam vor, damit wurde die Diversity-Maßnahme für das laufende Geschäftsjahr abgehakt. Seit etwa zwei Jahren wird das Thema von vielen Unternehmen aber sehr ernst genommen. Oft liegt mein Schwerpunkt darauf, für Diversität zu sensibilisieren und den Begriff gut zu umfassen. Einen weiteren Fokus lege ich auf „unconcious bias“, da diese oft verhindern, dass Vielfalt überhaupt gesehen wird. Mein dritter Themenbereich ist genderneutrale Sprache, sowohl im Gesprochenen als auch in der schriftlichen Kommunikation bzw. in der Bildsprache und speziell im Recruiting. Ich arbeite in Unternehmen manchmal mit der obersten Führungsetage, manchmal mit HR oder auch mit bunt gemischten Teams. Die Zugänge sind vielfältig – und in meiner Wahrnehmung funktionieren alle gleich gut. Hauptsache ist, dass das Thema keine Einmalaktion bleibt.

 

Wie erlebst du den Genderaspekt in deiner Arbeit? Ist das Thema Mann/Frau bedeutend oder gibt es andere bzw. wichtigere Ansatzpunkte?

Meine Erfahrung in den vergangenen Jahren ist, dass das Thema Frauen und Männer immer noch vorherrschend ist, das hatte ich nicht erwartet. In einem großen deutschen Mobilfunkunternehmen wurde ich z. B. vor kurzem um Rat gefragt, wie es gelingen kann, dass sich im Vertrieb mehr Frauen für Führungspositionen bewerben. Mir begegnet immer wieder die Haltung, dass Frauen ja gar nicht führen wollen. Meine These ist, wenn Unternehmen es schaffen, frauenfreundlich zu werden, dann schafft das insgesamt eine gute Basis für Diversität, weil dadurch automatisch auch alle anderen mit angesprochen werden. Darum macht es Sinn, den Fokus – gerade zu Beginn – auf Gender zu legen. Gender ist das vorherrschende Thema. Frauen sind per se daran interessiert, Beziehungen aufzubauen. Ich bin überzeugt, dass Frauen automatisch die anderen Diversity-Dimensionen stärker mitdenken und ein inklusiveres Umfeld schaffen. Ich glaube auch, dass in diversen Teams trendige Themen wie Achtsamkeit allein durch die Vielfalt der Personen ins Team kommen. Gerade in den vergangenen zwei Jahren habe ich viele Männer in Managementpositionen erlebt, die das verstehen und Diversity als Business Case sehen. Die haben verstanden, dass Diversity nicht in erster Linie bedeutet, dass sie sich ändern und um ihren Platz fürchten müssen.

 

Ich hoffe, du erlaubst mir eine etwas provokante Frage: Du schreibst in deinem Buch, das im Jänner 2020 erschienen ist, dass eine offene, neugierige Haltung und das Interesse an Menschen ausreichen, um Diversität zu fördern. Wie siehst du das nach den Erfahrungen, die du in den vergangenen zwei Jahren in Unternehmen gesammelt hast?

Das ist eine gute Frage – ich denke gerade darüber nach, ein zweites Buch zu schreiben. Tatsächlich bin ich immer noch der Meinung, dass eben diese offene, an Menschen interessierte Haltung die Basis bildet. Gleichzeitig ist weiterhin wichtig, in Unternehmen den Fokus weg von der personenimmanenten Diversity mehr auf die verhaltensimmanente zu legen. In meinem zweiten Buch will ich aber viel stärker darauf eingehen, worin der Nutzen von Diversity liegt: Die Unternehmen haben Probleme, gute Talente zu rekrutieren. Sie wollen die Fluktuation – nicht nur von Frauen – verhindern. Sie möchten, dass mehr Frauen Führungspositionen besetzen. Sie möchten insgesamt bunter werden, usw. Ich zeige auf, wie ein gutes Diversity Management hier helfen kann. Ein solche Diversity Strategie schließt auch das Thema Inklusion mit ein. Und hier meine ich nicht nur Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung. Inklusion bedeutet für mich, ich kann im Job mein Potenzial entfalten und es ist unwichtig, wie aussehe, wo ich herkomme, wen ich liebe usw.

 

Du sprichst den Unterschied von personenimmanenter und verhaltensimmanenter Diversität an [Ich erkläre die Begriffe im Anschluss an das Interview*]. Kannst du darauf näher eingehen? Was ist damit gemeint?

Der Fokus auf die personenimmanenten Dimensionen wie z. B. Geschlecht oder Hautfarbe bietet eine einfache, leicht verständliche Erklärung von Diversität. Ich befürchte allerdings, dass der Blick auf die rein personenimmanente Diversity, also das Einteilen der Menschen in die gängigen sieben Dimensionen, zu kurz gedacht ist. Unternehmen, die so verfahren, arbeiten gut gemeinte Maßnahmen lediglich ab. Wenn ich z. B. mit einer Maßnahme speziell Frauen fördern will, werde ich vielleicht den Großteil der Frauen damit abholen, aber nicht alle erreichen. Diejenigen, die ich nicht erreiche, fühlen sich dann schnell frustriert. Darum plädiere ich für „Diversity of thought“. Damit lege ich den Fokus auf die Persönlichkeit und die Fähigkeiten einer Person. Es geht darum, welchen Beitrag eine Person für das Unternehmen leistet, warum sie mit im Team ist.

 

Denkst du, dass eine Organisation die Auseinandersetzung mit den personenimmanenten Dimensionen überspringen und direkt bei verhaltensimmanenter Diversity ansetzen kann?

Ich bin der Meinung, dass das gut möglich ist. Wenn ich z. B. an Bewerbungsgespräche denke, würde ich den Fokus darauf legen, die persönlichen Kompetenzen abzufragen: Kann eine Person gut führen? Ist das eine empathische Person? Kann die Person mit Menschen umgehen? Agile Organisationen agieren bereits nach diesen Kriterien. Dass ich intern dennoch evaluiere, wie viele Frauen ich in Führungspositionen habe, ob ich Menschen mit Behinderungen beschäftige usw., ist natürlich eine sinnvolle Sache, um Diversität zu verstehen. Dadurch bekomme ich ein Bild, in welchen Diversitätsdimensionen ich mich als Organisation eventuell verstärken sollte. Wichtig ist, nicht in Schubladen zu denken!

 

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* Definition

Nach R. Roosevelt Thomas „Management of Diversity”

Unterscheidung von personenimmanenter und verhaltensimmanenter Diversity:

  • Personenimmanent: Dimensionen, die wir bei unserer Geburt mitbringen; entspricht den inneren Dimensionen (Geschlecht, Alter, Race/Hautfarbe, Ethnizität/Nationalität, Religion und Weltanschauung, sexuelle Orientierungen, Behinderungen und Beeinträchtigungen).
  • Verhaltensimmanent: Vielfalt in Bezug auf verschiedene Meinungen, Verhaltensweisen, Haltungen, Arbeitsweisen etc.; entspricht den äußeren und organisationalen Dimensionen.

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Worüber ich nachdenke

Anna hat im Interview erzählt, dass ihrer Erfahrung nach viele Unternehmen das Thema Diversity mit der Coronapandemie auf ihre Agenda genommen haben. Welche Gründe vermutet ihr? Meistern Unternehmen und Teams, die divers aufgestellt sind, Krisen besser als andere? Erhöht Diversität die Konfliktlösungskompetenz? Ich vermute: ja! 😉 Studien belegen auf jeden Fall, dass diverse Teams erfolgreicher, innovativer und weniger störanfällig sind.

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Annas Buchtipp

Rutger Bregman: „Im Grunde gut. Eine neue Geschichte der Menschheit“