Michael*a (50, Deutschland, verheiratet und Vater von drei Kindern) ist „nicht-binär“ und „genderfluid“. Das bedeutet, an manchen Tagen ist er Mann, an manchen Tagen ist sie Frau, an anderen Tagen ist Michael*a eine Kombination von beidem. Michael*a wechselt zwischen den Identitäten. Im vergangenen Jahr ging Michael*a viele extrem mutige Schritte in die öffentliche Wahrnehmung, um auf die Vielfalt an Genderidentitäten aufmerksam zu machen.

 

Michael*a, ich bin mit einer Interviewanfrage auf dich zugegangen, weil mich dein Post auf LinkedIn sehr beeindruckt hat und ich neugierig bin. Vielen lieben Dank, dass du mich an deiner Geschichte teilhaben lässt und mir die Möglichkeit zu Fragen gibst. Kannst du beschreiben, was dich motiviert hat, dich im Unternehmen und darüber hinaus zu zeigen?

Michael*a: Das war eigentlich nicht geplant, aber es ergab sich Schritt für Schritt eine Gelegenheit, die auch gut dazu passte, wie ich das Thema gerade für mich selbst aufgearbeitet habe. Als sich Anfang 2021 bei uns im Unternehmen eine Diversity Arbeitsgruppe gebildet hat, wollte ich da unbedingt mitmachen. Im Rahmen des Pride Months im Juni organisierte die Diversity Managerin dann mehrere Key Notes. Sie hat mir angeboten, selbst einen Vortrag zu halten und ich habe sofort gewusst, dass ich das machen möchte. Ich habe mir zwar darüber Gedanken gemacht, welchen Platz eine so private, persönliche Geschichte im Firmenumfeld haben kann, aber schließlich habe ich mich dafür entschieden. Mir ist wichtig, dass die Vielfalt an Geschlechteridentitäten in der Öffentlichkeit „normaler“ und sichtbarer wird. Damit es nicht mehr diese riesige Hürde gibt, um sich zu zeigen. Darum nutze ich die Bühne, die das Unternehmen mir bietet. Ich spreche das Thema an und gehe offen damit um. Als die Unternehmenskommunikation wenig später auf mich zu kam, um aufbauend auf den Vortrag ein Videoportrait1 zu drehen, habe ich auch da mitgemacht.

 

Ich habe das Video gesehen und bin sehr beeindruckt. Meinst du, du hättest diesen Schritt sowieso gewagt oder hat das Unternehmen dir mit den Maßnahmen im Bereich Diversity eine bestärkende und offene Haltung vermittelt?

Ich habe auf jeden Fall den Eindruck, dass das Thema Diversity bei uns im Unternehmen kein „Feigenblatt“ ist, sondern eine ernstzunehmende Initiative. Das Engagement bezieht sich auf alle sieben Dimensionen der Vielfalt, nicht nur auf Gender und sexuelle Orientierung. Die Absicht, das Thema sichtbar zu machen, ist deutlich zu spüren. Und damit fühle ich mich sehr wohl. Ich habe sehr oft darüber nachgedacht, ob ich es überhaupt schaffe, in der Öffentlichkeit weiblich aufzutreten. In dieser Auseinandersetzung mit mir selbst habe ich im Unternehmen immer wieder Response gefunden. Ich habe z. B. meinem Chef relativ früh erzählt, dass ich non-binär bin. Der fand Michaela super spannend und hat sehr positiv reagiert. Natürlich kann man solche Führungskräfte auch in anderen Unternehmen finden, aber es gab einfach insgesamt sehr viele Puzzlestücke, die für mich gepasst haben und mir diesen Schritt in die Öffentlichkeit ermöglicht haben.

 

Viele Unternehmen fokussieren ihre Diversity-Aktivitäten auf den Bereich Gender Equality zwischen Männern und Frauen. Im Hinblick auf gendergerechte Sprache habe ich bereits darüber diskutiert, ob genderneutrale Formulierungen nicht nur Frau und Mann, sondern auch alle anderen Geschlechtsidentitäten miteinschließen. Wie beurteilst du das: Sprechen Unternehmen, die Frauen fördern, damit auch implizit alle anderen Geschlechter an – oder braucht es ein spezielles Engagement?

Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Bei dem berühmten Beispiel „Liebe Kolleginnen und Kollegen“: Fühle ich mich da mitgemeint? Ich sage jetzt einfach mal ja. Neutrale Beschreibungen wie „Liebes Kollegium“ gefallen mir persönlich nicht so gut, weil ich nicht versachlicht werden will. Fakt ist: Wenn man z. B. von „Studenten“ spricht, denken wir an einen jungen, gesunden, weißen Mann. Alle, die diesem Bild nicht entsprechen, müssen erstmal eine Gedankenleistung erbringen, um sich mitgemeint zu fühlen. Eine farbige Studentin im Rollstuhl hat dreimal diesen Aufwand. Meiner Meinung nach muss sich unsere Sprache daher entwickeln, um gute Lösungen für genderneutrale Formulierungen zu bieten und inklusiv zu sein.

 

Du hast angesprochen, dass du dir vor dem Vortrag im Unternehmen Gedanken darüber gemacht hast, ob deine Geschlechtsidentität zu privat für den Firmenkontext ist. Mir wurde bei einem Workshop zum Thema unconscious bias bewusst, dass heteronormative Personen ständig ihr Privatleben mit ins Unternehmen bringen – sei es durch Familienfotos am Schreibtisch, durch eine Einladung zur Hochzeit oder eine Urlaubskarte. Jede*r soll natürlich selbst entscheiden, wieviel sie/er mitteilen möchte. Aber alle sollten die Möglichkeit haben, das ohne Angst vor Vorurteilen machen zu können.

Definitiv. Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass wir nicht zwei verschiedene Menschen im Sinn von Arbeitsmensch und Privatmensch sind. Wir nehmen immer Privates mit in die Firma. Ich war auch immer schon sehr offen und habe mich mitgeteilt. Nachdem ich verheiratet bin und drei Kinder habe, war es früher nie Thema, mich zu verstecken. Ich denke, dass es deutlich schwieriger wäre, als Mann z. B. ein Foto des Ehemanns auf den Schreibtisch zu stellen. Ich stelle mir das ähnlich wie bei der genannten Gedankenleistung vor, allerdings noch einmal auf einem ganz anderen Level. Das kostet Energie und Kraft. Dabei sollte es völlig natürlich sein.

 

Wie reagiert dein berufliches Umfeld darauf, dass du non-binär bist. Merkst du eine Veränderung?

Ich habe sehr viele schöne Rückmeldungen auf den Vortrag und das Portrait erhalten. Ich habe auch den Eindruck, dass ich dadurch bei anderen etwas bewirken konnte – viele haben mich auf meinen Mut angesprochen, einige habe ich aber auch mit dem Thema selbst abgeholt. Das hat wiederum bei mir etwas bewegt. Es motiviert mich sehr und hat mir eine starke Startenergie gegeben. Mein Weg als Michael*a ist ja noch nicht besonders lang und ich denke viel darüber nach, wie ich meine weibliche Seite ausgestalten und prägen will. Dass in meinem Arbeitsumfeld alle Bescheid wissen und das sehr gut aufnehmen, ist eine starke Basis für weitere Schritte. 2022 ist das Motto der Diversity Kampagne in unserem Unternehmen „Be you“ – das will ich für mich ganz persönlich reflektieren. Genau dahin geht meine Reise: zu überlegen, wie ich ich selbst sein kann. Das Genderbread Model2 mag ich dazu sehr gern, das liefert mir eine gute Quelle, um darüber nachzudenken, wie ich mich ausdrücken will.

 

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1 Videoportrait von Michael*a

https://www.linkedin.com/posts/michaelvonbusse_michaela-the-difference-activity-6891055495973871616-K89r

Definitionen Geschlechteridentitäten