Bettina (41) ist Head of Public Affairs Europe bei einem international tätigen Pharmaunternehmen. Für mich ist sie ein Role Model und eine inspirierende Frau, die gerne ihre Erfahrungen teilt, um andere Frauen zu bestärken. Ihre Vision ist eine ausgewogene Geschlechterverteilung. Warum und was es dafür braucht, könnt ihr im Interview nachlesen.

 

Bettina, ich habe dich vor ungefähr einem Jahr bei einem Vortrag erlebt und gespürt, dass du bei mir etwas in Bewegung gebracht hast. Ich freu mich sehr, dass ich die Gelegenheit zu einem persönlichen Gespräch mit dir habe. Wie stehst du zum Thema Diversity?

Bettina: Ich bin überzeugt, dass Diversität das Um und Auf für unser Zusammenleben ist. Wenn wir uns anschauen, wer in unserer Gesellschaft bzw. in der Weltpolitik aktuell das Sagen hat, dann zeigt sich ein sehr homogenes Bild. Bei ausschließlich gleichgeschalteten Entscheidern gibt es natürlich nicht viel zu erwarten. Da kann es keine Reflexion und kein kritisches Hinterfragen geben. Unzählige Studien belegen, dass diverse Teams bis zu achtmal erfolgreicher und dabei wesentlich innovativer sind als ein durchschnittliches Team. Die Zahlen sind so eindeutig, dass ich mich oft frage, warum das Thema Diversity bei vielen Unternehmen noch nicht angekommen ist. Bei internationalen Unternehmen beobachte ich, dass das Potenzial bereits gesehen wird. Auch gewisse Branchen im Bereich Technologie und Life Sciences setzen auf diverse Teams. Ich arbeite selbst in der pharmazeutischen Industrie. Für uns ist Diversität der Schlüssel zu Innovation und damit zu langfristigem Erfolg. Wenn wir vorankommen wollen – und das muss ja unser aller Antrieb sein –, dann müssen wir unsere Kompetenzen bündeln. Durch unterschiedliche Sichtweisen in einem diversen Team kommen wir zu besseren Ergebnissen.

 

Ich habe vor Kurzem mit einer Interviewpartnerin diskutiert, dass diverse Teams per se noch nicht erfolgreicher sind. Wie siehst du das? Was macht ein diverses Team erfolgreich?

Ich denke, dass ein innovationsgeprägtes Umfeld diverse Teams fördert. In einem Unternehmen, das ständig an Verbesserungen arbeitet und nach Neuem sucht, herrscht eine andere Haltung. In klassischen österreichischen Branchen kann ich mir gut vorstellen, dass die Etablierung von diversen Teams mehr Konfliktpotenzial mit sich bringt. Generell hängt der Erfolg eines diversen Teams meiner Meinung nach stark von der jeweiligen Aufgabe ab.

 

Welche Rahmenbedingungen siehst du als Grundvoraussetzung für diverse Teams? Wodurch kann ein Unternehmen Voraussetzungen schaffen, die unterschiedlichen Gruppen von Mitarbeiter*innen entgegenkommen?

Als ganz zentral sehe ich alters- und lebensabschnittsentsprechende Arbeitszeitmodelle, die auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter*innen angepasst werden können. In unserem Unternehmen gibt es z. B. maximale Flexibilität. Wir können unsere Arbeitszeit Montag bis Freitag von 6-22 Uhr frei einteilen und von überall in Österreich arbeiten. Für alle, die Betreuungspflichten haben – egal, ob Kinder oder zu pflegende Familienangehörige – ist das eine enorme Erleichterung. Unsere Mitarbeiter*innen haben 2019 gemeinsam mit dem Betriebsrat das Arbeitszeitmodell festgelegt und dementsprechend groß ist auch die Zufriedenheit. Wir sehen im Unternehmen, dass diese Flexibilität sehr, sehr gut funktioniert. Unsere Mitarbeiter*innen fühlen sich wohl und in ihren jeweiligen Lebensphasen unterstützt. Dafür bringen sie ihre besten Leistungen ein.

 

In meinem Umfeld erlebe ich, dass viele Unternehmen mit dem Ende der Lockdowns wieder zu den alten Gewohnheiten zurückkehren und Home Office wieder eher als „freiwillige Sozialleistung“ sehen. Siehst du das auch so?

Ja, leider bemerke ich diesen „Trend“ auch. Viele eher traditionell geprägte Unternehmen scheinen immer noch zu denken, dass ihre Mitarbeiter*innen von zuhause nicht ordentlich arbeiten. Ich frage mich, woran das liegt. Fehlt es an Grundvertrauen? Oder ist es eine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung? Mit diesen Fragestellungen beschäftige ich mich auch sehr stark neben meinem Job.

 

Du bist Mama von drei Kindern, Ehefrau, Karrierefrau und darüber hinaus noch ehrenamtlich aktiv. Wie schaffst du eine Balance zwischen deinen Verantwortungen? Fühlst du dich selbst als Role Model?

In unserem Unternehmen sind Männer und Frauen annähernd gleich stark in Führungspositionen vertreten. Wir haben weltweit im gesamten Konzern über 40% Frauenanteil bei den Senior Leader und knapp 35 % im Top Management.

Wenn wir allerdings in die Führungsebenen heimischer Unternehmen blicken, zeichnet sich leider ein anderes Bild. Daher gehe ich hier gern mit wehenden Fahnen voran und motiviere Frauen dazu, Führungspositionen anzustreben. Frauen bringen andere Sicht- und Verhaltensweisen ein. Ich bin überzeugt, dass Frauen zu einem besseren Unternehmensklima beitragen und Firmen mit einer ausgewogenen Geschlechterverteilung erfolgreicher sind. Bereits zwei oder drei Frauen in Top-Level-Positionen können ein verkrustetes System aufbrechen. Das ebnet den Weg für weitere Frauen, die Führungspositionen anstreben.

 

Du bist im Mentoring Programm des Club Alpha, einem Frauenclub in Wien. Was gibst du deinen Mentees mit? Welche Ratschläge sind dir besonders wichtig?

Es macht mir viel Freude, wenn ich als Mentorin Frauen ein Stück weit auf dem Weg hin zu einer Führungsposition begleiten kann. Ich lerne ganz unterschiedliche Frauen in unterschiedlichen Phasen ihres Lebens kennen. Frauenleben sind viel breiter gefächert und vielfältiger als Männerleben, weil die Themen Kinder und Kinderbetreuung nach wie vor gesellschaftspolitisch bei uns angesiedelt sind. Ganz oft bespreche ich mit meinen Mentees, dass die Partnerwahl entscheidend für die eigene Karriere ist. Ich rate immer dazu, zum einen selbst zu überlegen und dann auch mit dem Partner bereits vor der Elternschaft zu klären, wie die Betreuung geregelt wird.

 

Ich bin einen Lebensabschnitt weiter. Meine beiden Mädls sind in einem Alter, wo ich wieder mehr Freiheiten und mehr Energie spüre. Was rätst du Frauen, die nach der „Kinder-Auszeit“ durchstarten wollen?

Ja, ich weiß genau, was du meinst. Es kommt der Moment, wo man sich wieder „emanzipiert“ fühlt und nicht mehr nur Mama, sondern auch wieder Frau ist. Grundsätzlich sollte jeder Mensch die Freiheit haben, die eigene Karriere gestalten zu können. Wenn eine Frau mit kleinen Kindern sich entscheidet, einige Jahre Karriere mäßig zurückzustecken, dann ist das voll in Ordnung. Es lohnt sich aber auf jeden Fall, bereits in der beruflichen Auszeit gut darüber nachzudenken, wie die Karriere fortgesetzt werden kann. Dazu kann z. B. eine Management- oder Fachausbildung überlegt werden. Vielleicht bietet das eigene Unternehmen ein Programm zur Weiterentwicklung an. Und auch hier wichtig: Nicht nur die Frau sollte sich überlegen, wie die Karriere mit Kind gestaltet werden kann. Männer sollten sich damit auseinandersetzen, wie sie die Kinderbetreuung anlegen wollen, während sie Karriere machen. Beide müssen sich Gedanken zur Lebensgestaltung und zur Karriereplanung machen.

 

Der Club Alpha feiert in diesem Jahr sein 35-jähriges Jubiläum. Haben sich die Themen verändert, an denen ihr arbeitet?

Wir können beim Thema Kinderbetreuung und in der Pflege von Angehörigen noch lange nicht von einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Männern und Frauen sprechen. Seit 1987 hat sich zwar einiges bewegt, aber wir beschäftigen uns immer noch mit den gleichen Fragen zur Stellung der Frau, zu Karriere, usw. Die Fortschritte sind einfach viel zu langsam. Wir haben z. B. kürzlich im Karl-Landsteiner-Institut für Human Resources and Human Factors eine Studie im Pflegebereich gemacht. In der Pflege arbeiten rund 85 % Frauen, in der Altenpflege sogar mehr als 90 %, die Führungsetage ist hauptsächlich männlich besetzt. Dieses Phänomen der „gläsernen Rolltreppe“ führt in typischen Frauenberufen dazu, dass Männer schneller in die Führungspositionen fahren, weil dadurch weitere Männer angezogen werden sollen. Das funktioniert allerdings nicht. Es bräuchte vielmehr ein anderes Anreizsystem. Unsere Politik müsste die Rahmenbedingungen verändern und für typische Frauenberufe z. B. ähnliche Kollektivverträge sowie Vergütungsmodelle entwickeln wie für typisch männliche Berufsfelder. Genau diese Balance finde ich zentral: Kein Geschlecht ist besser als ein anderes. Nur gemeinsam können wir eine inklusive Gesellschaft schaffen, in der jeder Mensch seinen Platz hat und seine Kompetenzen einbringen kann.

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Definition

„Die gläserne Rolltreppe“, im Englischen „glass escalator“

Dabei handelt es sich um eine Metapher für das Phänomen, dass viele Männer, die in klassischen Frauenberufen (Krankenpfleger, Lehrer, Bibliothekare, Sozialarbeiter) arbeiten, gegenüber Frauen beim objektiven Karriereerfolg Vorteile haben – also schneller in der Hierarchie aufsteigen, oder rascher mehr Geld verdienen. 

Mehr Informationen z. B. unter https://de.wikipedia.org/wiki/Gl%C3%A4serne_Rolltreppe

Frauen in der Medizin

Frauen in Führungs- und Entscheidungspositionen in der Medizin. Was fördert und was hindert die Karriereentwicklung? 

https://www.kli-hr.at/wp-content/uploads/2022/03/Frauen-in-der-Medizin-2021_%C2%A9-KLI-1.pdf

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Buchtipp

„Die Erfindung der Hausfrau – Geschichte einer Entwertung“

»Das bisschen Haushalt« – diese unsäglich anstrengende, undankbare Aufgabe kostet viele Frauen bis heute den letzten Nerv. Egal, ob sie berufstätig oder »nur« Hausfrau (und Mutter) sind. Doch unter welchen ökonomisch-gesellschaftlichen Verhältnissen konnte sich überhaupt ein solches Rollenmodell etablieren, das Frauen nicht nur in finanzielle Abhängigkeit drängte, sondern enormen psychischen Belastungen aussetzte?

Evke Rulffes erzählt die historische Entwicklung der Hausfrau nach und zeigt, wo sich diese alten Verhältnisse trotz all der politischen Bemühungen um ein gleichberechtigtes Miteinander heute noch wiederfinden, wie sie uns prägen und beeinflussen: Warum haben vor allem Mütter das Gefühl, sie müssen alles alleine schaffen? Warum ist es ihnen unangenehm, sich Hilfe zu organisieren? Und warum bleibt selbst das Organisieren von Hilfe in der Regel bei ihnen hängen? 

https://www.morawa.at/detail/ISBN-9783749902408/Rulffes-Evke/Die-Erfindung-der-Hausfrau—Geschichte-einer-Entwertung