Ich war vor Kurzem bei der NEXTCOMIC-Ausstellung in Linz und bekam dabei einen Comic über den Wechsel bei Frauen in die Hand. Ich dachte mir, da lässt sich bestimmt eine spannende Perspektive auf das Thema Diversity abholen. Daher habe ich Renate (49) kontaktiert und hier ist das Interview, das ich mit ihr geführt habe. Leider nicht in Comic-Form, sondern wie gewohnt als Schriftstück.
Renate, ich freu mich sehr, dass wir so schnell – zumindest virtuell – zueinandergefunden haben. In deinen Comics bzw. allgemein in deinem künstlerischen Schaffen setzt du dich mit Themen auseinander, die ich auch in meinem Blog aufgreife. Kannst du mir etwas über deine Motivation bzw. deinen Zugang erzählen?
Renate: Die Auseinandersetzung mit dem Thema Frauen basiert natürlich einerseits auf meinen persönlichen Erfahrungen als Frau und andererseits auf meiner Wahrnehmung, welche Rollen Frauen über die Geschichte hinweg bis heute in unserer Gesellschaft zugeschrieben werden. Es irritiert mich immer wieder, wie oft und in welch vielfältigen Situationen Frauen als Minderheit behandelt werden, obwohl wir eigentlich die Mehrheit stellen. Ich bin beruflich als Bauingenieurin in einer männlichen dominierten Branche unterwegs. Bereits beim Studium war es sehr auffällig, dass es nur wenige Frauen gab und wir teilweise als Kuriosum behandelt bzw. ignoriert wurden. Gehaltstechnisch zahlt es sich dennoch auf jeden Fall aus, in eine Männerdomäne einzusteigen. (Müdes Lächeln auf beiden Seiten 😉) Die Benachteiligung von Frauen beschränkt sich aber natürlich nicht auf typische Männerberufe, sondern ist ein allgemeines Phänomen.
Magst du zum Thema Gender Pay Gap noch etwas sagen? Das Thema reizt dich?
Es ist einfach eine Frechheit, wie weit die Einkommensschere bei Männern und Frauen auseinanderklafft. Eine Frau, die Kinder bekommt, hat in unserer Gesellschaft einen enormen finanziellen Nachteil – und das, obwohl Mütter so etwas Wichtiges für die Gesellschaft leisten und kleine Menschen auf ihrem Weg ins Leben begleiten. Das Thema Altersarmut bei Frauen beschäftigt mich sehr. Ich finde es verstörend, dass es für eine Frau eine finanziell kluge Entscheidung ist, kinderlos zu bleiben.
Neben deinem Job bist du künstlerisch sehr aktiv und besetzt mit deinen Comics und deiner Malerei dir wichtige Themen. Welche Rolle spielt diese Möglichkeit in deinem Leben?
Künstlerisch tätig zu sein, ist für mich ein Ausdrucksmittel. Einerseits hilft mir die Kunst bei der eigenen Reflexion, andererseits besetze ich damit gerne Lücken. Ich sehe mich selbst als sehr politischen Menschen. Ich mag es, „unsichtbare“ Themen wie z. B. den weiblichen Wechsel anzusprechen und als etwas ganz Normales zu transportieren. Zum Thema Wechsel habe ich z. B. ein Buch gezeichnet, in dem ich Interviews mit verschiedenen Frauen als Comics aufgearbeitet habe. Diese Frauen waren entweder gerade im Wechsel oder hatten diese intensive Zeit kürzlich durchlebt. Es hat mich mit meinen zu diesem Zeitpunkt 46 Jahren interessiert, was da auf mich zukommt und ich wollte dem Thema eine Bühne geben. Der Wechsel ist eine bedeutende Phase im Leben jeder Frau und sollte nicht als etwas abgetan werden, über das nicht gesprochen wird und das „im stillen Kämmerlein“ erduldet werden muss. Die Auseinandersetzung hat mir auf jeden Fall zu einem positiven Umgang mit meinem Wechsel verholfen und mit dem Tabu auch die Unsicherheit aufgelöst. Ich mag das Älterwerden generell, ich mag die Routine in Bezug auf das eigene Handeln. Mir kommt vor, ich lerne es immer besser, das Leben mit mir selbst zu leben.
Das klingt gut, eine schöne und versöhnliche Vorstellung. Ich mag auch, was du vorhin über Lücken gesagt hast. Das korrespondiert mit meinen Beweggründen, unterschiedliche Perspektiven zum Thema Diversity aufzuzeigen. Kannst du genauer beschreiben, was dich daran fasziniert?
Ja, gern. Wenn ich Portraits male, dann sind das meistens Frauen. Ich will dadurch die Lücke ausfüllen, dass es insgesamt viel mehr Bilder von Männern gibt. Bilder beeinflussen das Denken. Darum möchte ich Frauen zeigen. Am liebsten male ich Frauen, die etwas für mich Inspirierendes gemacht haben. Eines meiner Lieblingsportraits zeigt Emmy Hennings, eine deutsche Künstlerin, die im frühen 20. Jahrhundert gewirkt hat und Mitbegründerin des „Cabaret Voltaire“ war, der Geburtsstätte des Dadaismus. Mein nächstes Comicbuch erscheint demnächst über den Wiener Sport-Club: Der Verein feiert 2023 sein 140-jähriges Jubiläum und hat sich in den vergangenen Jahren ausgehend von den Fans sehr stark gegen Rassismus und Sexismus positioniert. Im Comic thematisiere ich die Geschichte des Vereins und gehe dabei zeichnerisch auch stark auf das Fußball-Frauenteam ein. Ich finde es spannend, wie viel „Macht“ darin liegt, Geschichte zu erzählen. Egal, was Frauen machen und wo sie in die Öffentlichkeit treten: Der Blick auf die Welt und das Denken der Menschen verändern sich. Darum finde ich es wichtig, die Geschichten der Frauen mehr zu erzählen.
Ich habe als Jugendliche kaum Comics gelesen, im vergangenen Jahr aber gleich drei Bücher von Liv Strömquist verschlungen. Mir gefällt die Art, wie ernste und sehr bewegende Themen in Comics aufgegriffen werden. Warum hast du dich für Comics entschieden? Welches Potenzial siehst du in der Darstellungsform?
Comics steigen immer mehr zur Kunstform auf, befreien sich von Vorurteilen und werden mittlerweile als Literatur angesehen. Einer meiner Fokusse beim Comiczeichnen liegt auf der Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte. Für das Wolfsforschungszentrum in Ernstbrunn habe ich z. B. anhand von Comics erklärt, welche wissenschaftlichen Tests durchgeführt wurden, um den Unterschied von Hunden und Wölfen zu erforschen. Bei einem anderen Projekt habe ich die Diagnose Burnout in Comics aufgearbeitet. Für ein Krankenhaus habe ich einen Comic über das Thema Schlaganfall gestaltet. Ich glaube, gerade für schwierige Geschichten wie z. B. Krankheiten eignet sich die Darstellung sehr gut. Die Leser*innen können sich leichter auf das Thema einlassen, wenn es spielerisch und „lieb“ aufbereitet wird. Mit Comics kann ich Sachverhalte gut verdichten und allein mit einem Bild schon wahnsinnig viel ausdrücken. Ich denke, das ist ein adäquates Kommunikationsmittel für unsere schnelllebige Zeit. Die Kombination von Wort und Bild finde ich unschlagbar.
Ich möchte das Interview nicht mit einer konkreten Frage beenden, sondern dir Platz geben für Gedanken, die du zum Thema Diversity noch nicht untergebracht hast. Gibt es etwas, das du gern als abschließendes Statement sagen willst?
Das Thema Diversity sehe ich sehr politisch. Meiner Erfahrung nach streben Menschen, die sich für eine vielfältige Gesellschaft engagieren, nach mehr Gerechtigkeit. Dem entspricht auch meine Haltung: Ich wünsche mir, dass alle Menschen gleich sind im Hinblick darauf, dass sie in Würde, Gesundheit, Frieden und Wohlstand leben können. Wenn jeder Mensch die Freiheit hat, an sich zu glauben und das zu tun, wofür das eigene Herz schlägt, dann würden wir uns als Gesellschaft hin zu einer besseren Welt entwickeln.
Renates künstlerisches Schaffen
Renate ist autodidaktische Malerin und Zeichnerin. Sie zeichnet Comics über wissenschaftliche Erkenntnisse, Medizin, Gesundheit im Allgemeinen und Verhaltensforschung.
Weitere Informationen findet ihr unter:
https://www.renatentwurf.at/
