In keinem europäischen Land arbeiten mehr Frauen in Führungspositionen als in Norwegen. Eine fortschrittliche Familienpolitik, ausreichend flexible Kinderbetreuungseinrichtungen und moderne Rollenbilder machen das möglich. Wie geht es einer österreichischen Jung-Mama und Wissenschaftlerin in diesem Umfeld? Bernadette (37) hat ihre Perspektive mit mir geteilt und ich gebe die Einblicke gern weiter.

 

Bernadette, ich bin sehr gespannt auf deine Perspektive. Welchen Bezug hast du allgemein zum Thema Diversity?

Bernadette: Als Ökologin assoziiere ich Diversität mit Artenvielfalt und u. a. mit Charles Darwin. Ich habe mich in den vergangenen Monaten beruflich damit auseinandergesetzt, ob diverse Lebensräume mit vielen unterschiedlichen Arten resilienter gegenüber Störungen sind. Studien zeigen, dass sich der Output in vielfältigen Systemen erhöht, Abweichungen schneller abgefedert werden können und die Ressourcen des Lebensraums besser genutzt werden. Hier finden sich vermutlich viele Analogien zu Diversität im Gesellschafts- und Unternehmenskontext.  

 

Du bist Wissenschaftlerin. Wie erlebst du das Thema Diversity in deinem beruflichen Umfeld?

Wir sind an der Universität vermutlich auf den ersten Blick ein sehr diverses Team mit vielen Nationalitäten – die meisten haben aber einen akademischen Hintergrund, und ich merke schon, dass ich als Kind nicht-studierter Eltern manchmal die Codes nicht verstehe und nach anderen Werten erzogen wurde. Ich denke, das trägt teilweise dazu bei, dass die Wissenschaft sich in ihren Elfenbeinturm zurückzieht. Meiner Meinung nach könnte Diversität hier eine wichtige Brücke zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft schlagen. Es ist in meiner Wahrnehmung auch so, dass es zwar viele Wissenschaftlerinnen gibt, aber europaweit nur sehr wenige Frauen eine Professur erhalten.

 

Hast du dir Gedanken gemacht, worin die Ursachen für diese Geschlechterverteilung liegen könnten? Ist dein Karriereziel eine Professur?

Eine Ursache liegt bestimmt darin, dass Männer sich mehr zutrauen. Gerade in der Forschung, wo es nicht die eine richtige Antwort gibt, sondern meist viel Unsicherheit herrscht, braucht es umso mehr Selbstbewusstsein, um die eigene Arbeit nach außen zu präsentieren. Ich wurde nicht dazu erzogen, in der ersten Reihe zu stehen. Zum anderen sollte ich z. B. aktuell in meiner Postdoc-Phase eine Reihe von Publikationen herausbringen und an Forschungsreisen teilnehmen. Diese Phase fällt aber zeitlich mit der Phase zusammen, in der Frauen auch der Familiengründung nachgehen. Ich habe als Mama von zwei Kindern mit 1,5 und vier Jahren einfach gerade nicht die Zeit und Energie, um mich beruflich zu profilieren. Für Mӓnner ist diese Phase doch einfacher zu meistern, da sie nicht durch Schwangerschaften ausfallen und sich auch später im Leben noch für Kinder entscheiden können.

 

Norwegen ist bekannt für seine familienfreundlichen Rahmenbedingungen und das großflächige, flexible Kinderbetreuungsangebot. Sind das Karriere-Booster für Frauen? Wie geht es dir, wenn du das norwegische Modell mit dem österreichischen vergleichst?

Die jeweiligen Vor- und Nachteile hängen stark von der individuellen Situation und Wahrnehmung ab. Grundsätzlich sind meine Möglichkeiten hier in Norwegen deutlich vielfältiger. Die Karenz teilt sich z. B. in je vier Monate Pflichtkarenz für beide Elternteile und vier Monate frei wählbar. In der Regel nehmen Frauen zwei Drittel der Karenz in Anspruch. Ich habe das beim ersten Kind so gemacht und bin nach acht Monaten mit 80 % Arbeitszeit zurück ins Berufsleben. Ehrlich gesagt war ich mit der Situation ziemlich überfordert, obwohl mein Partner sich zuhause super um das Kind gekümmert hat. Ich habe dann für einige Monate die Arbeitszeit reduziert. Als unsere Kleine etwas größer war, haben wir uns für jeweils 80 % entschieden und waren damit beide mehr als ausgelastet. Wir haben uns viel mit anderen ausgetauscht und vielleicht erleben die meisten Paare das anders – aber für uns beide war die Situation trotz der großartigen Kinderbetreuung belastend. Beim zweiten Kind haben wir uns daher bewusst entschieden, nicht der in Norwegen klassischen Aufteilung von Beruf und Familie zu folgen.

 

Kannst du mir näher beschreiben, mit welcher Erwartungshaltung Frauen bzw. Familien mit kleinen Kindern im skandinavischen Raum konfrontiert sind?

In Norwegen wird von einer Frau erwartet, dass sie nach der Geburt eines Kindes so weiterarbeitet wie vorher. Ich habe in meinem Umfeld ganz oft gehört, wie schön es ist, wieder zu arbeiten und nicht nur daheim zu sitzen – was doch sehr klar beschreibt, wie wenig Wertschätzung Care-Arbeit zukommt. Durch meine Teilzeitbeschäftigung bin ich z. B. bei wichtigen Projekten nicht mit an Bord, bin weniger involviert in die Betreuung von Studenten, usw. Natürlich bin ich froh über die Möglichkeit, reduziert zu arbeiten, aber die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, beschäftigen mich sehr. Die Messlatte für Karriere darf nicht bei einem kinderlosen bzw. nicht in die Kinderbetreuung einbezogenen Mann angelegt werden. Verantwortungs- und anspruchsvolle Jobs sollten nicht an 40 Stunden plus und komplette zeitliche Flexibilität gekoppelt sein.

 

Wenn du Norwegen und Österreich vergleichst, was gefällt dir an den jeweiligen Rahmenbedingungen? Welche Konzepte würdest du gern kombinieren können?

Die Kinderbetreuung in Norwegen ist einfach extrem gut. Das würde ich auf jeden Fall in ein „ideales Modell“ mitnehmen. Zu kämpfen habe ich allerdings mit der Erwartung, dass Vollzeit gearbeitet werden muss, um Karriere zu machen. Vollzeit zu arbeiten kann ich nicht mit meinem Anspruch ans Elternsein verbinden. Für mich ist Mutter zu sein etwas Erfüllendes, dem ich Zeit und Aufmerksamkeit widmen möchte. Auch wenn die Kinderbetreuung noch so gut ist, will ich meine Kinder nicht mehr als 40 Stunden pro Woche fremdbetreuen lassen. In meiner Idealvorstellung kann gemeinsam mit dem Partner gewählt werden, welche Prioritäten im eigenen Leben eine Rolle spielen sollen.

 

Kannst du mir kurz beschreiben, wie die Kinderbetreuung in Norwegen geregelt ist?

Ich habe ja selbst vor meinem Studium die Kindergärtnerinnen-Ausbildung in Österreich gemacht – was hier in Norwegen geboten wird, ist wirklich etwas komplett anderes. Unser Kindergarten ist täglich von 7-17 Uhr geöffnet und bietet komplette Flexibilität, wann die Kinder gebracht und wieder abgeholt werden. Am Morgen wird ein Frühstück angeboten, auch sonst ist die Verpflegung sehr kindgerecht. Die Pädagog*innen sind wesentlich besser ausgebildet und bieten den Kindern ein viel individuelleres, entspanntes Programm. In der Gruppe meiner Tochter gibt es weibliche und männliche Pädagog*innen in unterschiedlichen Altersgruppen. Der Betreuungsschlüssel ist ein ganz anderer. Ich spüre einen tiefen Respekt für Kinder und auch uns Eltern wird mit sehr viel Wertschätzung begegnet. Für mich sind die Pädagog*innen eine Unterstützung, ich empfinde die Betreuung als familienergänzend.

 

Du planst, gemeinsam mit deiner Familie nach Österreich zurückzukommen. Welche Gedanken beschäftigen dich dazu? Auf welche beruflichen und privaten Veränderungen bereitest du dich vor?

Ein großes Thema wird bestimmt die Gleichstellung von Männern und Frauen bzw. das traditionelle Rollenbild von Frauen und Müttern. Mich beschäftigt, wie es meiner kleinen Tochter damit gehen wird, in einem patriarchalen System aufzuwachsen. Beruflich stelle ich mich wieder auf ein strukturierteres, „eingekasteltes“ Arbeiten ein, wo Kennzahlen eine wichtige Rolle spielen und alles in Stunden gemessen werden muss. Ich habe in den vergangenen Jahren gelernt, dass auch organischere Prozesse funktionieren. Insgesamt werde ich die Menschlichkeit vermissen. Hier in Norwegen gibt es einen ganz anderen Umgang mit Fehlern. Es wird enorm großer Wert darauf gelegt, dass sich niemand für besser als die anderen hält. Es ist wichtig, eine Kommunikation zu wählen, die niemanden benachteiligt. Mobbing wird z. B. schon an Kindergärten und Schulen thematisiert. Dass Menschlichkeit so präsent ist, gefällt mir sehr. Das wird mir enorm fehlen.

u

Ideenaufruf: Geschlechterneutrale Ausbildung

Ich habe mit Bernadette diskutiert, wie wichtig es wäre, jungen Frauen die Vielfalt möglicher Berufsfelder und Karrierewege aufzuzeigen und sie in ihren Talenten zu unterstützen. In MINT-Berufen gibt es Initiativen, um verstärkt Frauen auszubilden. Aber darüber hinaus gibt es viele Bereiche, in denen traditionell Männer arbeiten. Wie nehmt ihr dieses Spannungsfeld wahr? Warum werden Mädchen in HAK und HBLA geschickt und Buben in die HTL? Wie ging es euch bei der Wahl einer weiterführenden Schule? Welche Ideen habt ihr, um mehr Gleichberechtigung in der Berufswahl zu erreichen? Wie können Jugendliche aller Geschlechter besser an ihre Potenziale und die damit verbundenen Berufsfelder herangeführt werden?

Bernadette ist Ökologin. Nach ihrer Ausbildung zur Elementarpädagogin hat sie sich einem naturwissenschaftlichen Fach verschrieben.

Typisch skandinavisch: Janteloven

The ten laws of Jante, written by Sandemoose, are a fascinating look at the wide net this pattern of behavior casts across society. Notice that they’re directed at “you,” and refer to “us,” meaning the culture or community at-large.

https://www.scandinaviastandard.com/what-is-janteloven-the-law-of-jante/