Anna (27) und ich kennen uns einem privaten Kontext. Sie studierte in Wien Management and Entrepreneurship und verbrachte ihre bisherige Karriere hauptsächlich als Führungskraft in Tech-Start-ups, u. a. in Berlin. Aktuell lebt Anna in London. Ich habe ihre Aktivitäten auf Social Media verfolgt, bei denen sie vor allem Nachwuchsmanager*innen mit wertvollen Tipps für die Gestaltung ihrer Leadership-Position unterstützt. Darüber hinaus arbeitet Anna als Coach in der weltweit führenden Coach-Training-Einrichtung iPec. Mich beeindruckt, dass eine junge Frau für sich ganz klar die Vision einer Führungsrolle definiert und diesen Weg unbeirrt geht. Genau darum drehte sich unser Interview.
Anna, ich bin sehr gespannt auf deine Perspektive. Ich verfolge auf Social Media deine Aktivitäten und finde super, wie du deine Botschaften aufbereitest. Auch wenn ich keine Führungskraft bin, konnte ich mir schon den ein oder anderen Tipp mitnehmen. Danke! Kannst du beschreiben, was dich an der Führungsaufgabe so fasziniert?
Anna: Ich habe bereits in Berlin Erfahrungen in der Tech-Branche gesammelt und dann in London als Führungskraft gearbeitet. Dabei habe ich zuerst ein kleines Team und dann immer größere Teams gemanagt. Das hat mir enorm viel Freude bereitet. Schon während meiner Schul- und Studienzeit habe ich mich immer damit beschäftigt, warum manche Menschen erfolgreicher sind als andere. Ich habe unzählige Bücher zum Thema „Personal Development“ und Kommunikation gelesen. Meiner Meinung nach gibt es sehr viele unfähige Manager*innen, die an sich selbst oder an ihren Führungsmethoden scheitern. Das belastet einerseits die Organisation und andererseits auch das persönliche Umfeld der Manager*innen und ihrer Mitarbeiter*innen. Ich erlebe sehr oft, dass Nachwuchsführungskräfte keine Unterstützung erhalten, wenn sie neu in eine Managementaufgabe kommen. Dabei ist das meiner Ansicht nach essenziell. Gute Manager*innen können extrem viel Positives bewegen.
Wie bist du selbst so früh in deiner beruflichen Laufbahn in eine Führungsrolle gekommen? Hat sich das im Tech-Start-up einfach entwickelt?
Nein, eigentlich nicht. Ich habe nach einer Führungsaufgabe verlangt, weil ich gern mit Menschen arbeite und mich diese Herausforderung reizt. Für mich war schon immer klar, dass ich die Management-Leiter hinauf will. Und ich bin fest davon überzeugt: Wenn ich etwas möchte, dann muss ich danach fragen. Anders hätte ich bestimmt diese Managementposition, zumindest in so kurzer Zeit, nicht bekommen.
Kannst du dich noch daran erinnern, wie es dir in deiner ersten Führungsrolle ging? Worüber hast du dir Gedanken gemacht?
Ich war in meiner ersten Managementrolle bei einem Tech-Unicorn, das sehr schnell gewachsen ist, wirklich überfordert und fühlte mich schlecht vorbereitet. Mein Glück war, dass ich selbst eine super Führungskraft hatte und mir da viele Tipps holen konnte. Auch durch meine Fehler – dazu gehörte z. B. Micro-Management – habe ich sehr viel gelernt. Meine größte Herausforderung war, zu lernen, mich auf andere Personen zu verlassen. Dazu habe ich sehr viel an mir selbst gearbeitet. Ich bekam dann immer mehr Verantwortung übertragen und habe sogar Manager*innen geführt, was wieder eine ganz andere Art der Führung ist.
Du hast von gutem und schlechtem Management gesprochen. Was ist dir wichtig, wenn du in einer Führungsposition bist? Was macht eine gute Führungskraft aus?
Wenn ich führe, ist es mir wichtig, meine Mitarbeiter*innen so zu unterstützen, dass sie ihr gesamtes Potenzial ausschöpfen können. Ich will einen Raum schaffen, wo Vertrauen herrscht und auch Fehler offen diskutiert werden können. Es ist wahnsinnig spannend, wie ich mit kleinen Tipps und Optimierungen wirklich deutliche Veränderungen erreichen kann. Management bedeutet für mich nicht, anderen ihre Arbeit zu erklären. Management bedeutet, dass ich Bedingungen schaffe, in denen sich andere entfalten können. Manchmal heißt das auch, dass ich einfach aus dem Weg gehe und meine Mitarbeiter*innen machen lasse. Ich habe ein gutes Gespür für Menschen und versuche, auf die individuellen Bedürfnisse bestmöglich einzugehen. Das ist meiner Meinung nach auch die einzig richtige Motivation für diesen Job. Es irritiert mich sehr, wenn Menschen nur für den Status oder den Titel in eine Führungsverantwortung gehen. Ich bin überzeugt, dass Manager*innen nur dann erfolgreich sein können, wenn sie sich für Menschen interessieren und sie fördern und begleiten wollen.
Das klingt alles sehr natürlich und ich kann mir dich gut in einer Führungsrolle vorstellen. Hast du auf deinem bisherigen Karriereweg auch frauendiskriminierende Situationen erlebt? Hattest du jemals den Eindruck, dass du dich behaupten musstest, weil du eine junge Frau bist?
In meiner ersten Führungsposition war ich bei den Managementmeetings immer die einzige Frau im Raum. Da kam es schon immer wieder vor, dass ich wie eine Assistentin behandelt wurde und die Uhrzeit im Blick behalten sollte. Ich habe in diesen Situationen immer sehr darauf geachtet, dass ich authentisch bleibe und nicht z. B. männliche Verhaltensweisen nachahme, nur um gleichberechtigt behandelt zu werden. Ich habe meine Präsentationen immer so gehalten, wie ich es für richtig hielt. Schließlich stand auch mein Team hinter meiner Arbeitsweise, denn alle haben super performt. Ich sehe nicht ein, dass ich mich als Frau weniger feminin geben sollte oder mich verbiegen muss, um Karriere zu machen.
Deine Karriere hat dich aktuell in eine coachende Rolle gebracht. Wie geht es deinen Klient*innen damit, von einer 27-Jährigen gecoacht zu werden?
Ich glaube, dass ich anfangs mehr damit gehadert habe als die Menschen, die ich coache. Ich musste wirklich an mir arbeiten, an meiner Unsicherheit, und mir dessen bewusst werden, dass Alter eine Zahl ist, die nicht viel über meine Professionalität aussagt. In meiner Coachingausbildung habe ich gelernt, dass ich meine Gedanken manage und an mich selbst glaube. Wenn ich mir etwas nicht zutraue, überlege ich z. B., wo ich bereits Erfahrungen gesammelt habe, die das Gegenteil beweisen. Ich bin allein nach London gegangen, ohne hier jemanden zu kennen. Ich habe ein Team von Personen geführt, die alle älter waren als ich. Diese Herangehensweise verwende ich auch in meinen Coachingsessions. Es geht darum, das Mindset zu verändern. Und viele meiner Klient*innen sind dann oft überrascht, dass die Veränderung eines kleinen Hebels andere positive Entwicklungen mit sich bringt.
Das beeindruckt mich sehr. Was mich noch sehr interessieren würde: Du bist in einer ländlichen Gegend Oberösterreichs aufgewachsen, hast in Berlin gearbeitet und lebst jetzt in London. Wenn du die Länder vergleichst, fallen dir unter dem Aspekt von Diversität große Unterschiede auf? Was hat dich nach London verschlagen?
Berlin fand ich um einiges spannender als Oberösterreich, weil es viel weltoffener und internationaler ist. Aber in London fühle ich mich richtig zuhause. Im deutschsprachigen Raum wurde ich immer wieder durch Barrieren begrenzt, mir wurden von der Gesellschaft Limits gesetzt. London bietet meiner Erfahrung nach viel mehr Möglichkeiten. Es ist nicht so wie in Amerika, wo der Traum von der Tellerwäscherin zur Millionärin wahr wird, aber es stehen viel mehr Türen offen. Ich habe den Eindruck, dass ich als Expat enorm geschätzt werde. Die Fülle an Erfahrungen, die ich in der kurzen Zeit hier gemacht habe, wäre in Österreich nie möglich gewesen. Ich habe das Gefühl, dass ich mich wirklich entfalten und ausprobieren kann. Ich kann Fehler machen und daraus lernen. Hier in London heißt es: „Hey, du bist in deinen Zwanzigern. Geh das größtmögliche Risiko ein. Wann nicht jetzt, wann dann.“
Woran ich gerade denke: Du bist 27 und schon so viele Schritte auf deiner persönlichen Karriereleiter gegangen. In den Diversity-Interviews habe ich schon mehrfach darüber diskutiert, dass Frauen durch die Karenz und die anschließende Teilzeitbeschäftigung im Vergleich zu ihren männlichen „Mitstreitern“ ins Hintertreffen gelangen und diesen Vorsprung nie wieder aufholen können. Hast du dir darüber schon Gedanken gemacht?
Ja, durchaus. Es ist Wahnsinn, wie sehr Frauen in Österreich durch die staatlichen Strukturen und die gesellschaftlichen Erwartungen an ihrer Karriere gehindert werden. Wenn man die Kinderbetreuung und Karenzregelung z. B. mit dem skandinavischen Raum vergleicht, dann sind das vollkommen andere Rahmenbedingungen. In Großbritannien überzeugen mich die staatlichen Regelungen auch nicht, aber ich habe zumindest in London den Eindruck, dass Eltern sich die Betreuung ihrer Kinder gleichberechtigt aufteilen. Alles andere wäre für mich auch nicht denkbar. Was mir dazu noch wichtig ist: Führung auf Vollzeitpositionen zu beschränken, ist ein völliges Missverständnis. Eine gute Führungskraft nimmt sich Zeit, um ihrem Team zuzuhören, Beziehungen aufzubauen und die einzelnen Menschen zu fördern. Das funktioniert mit 20 Stunden genauso gut oder vielleicht sogar besser als in Vollzeit.
Annas Website
Mehr über Anna und ihr Coachingangebot findet ihr auf ihrer Website.
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Anna Brunmayr | LinkedIn
Inklusive Meetingkultur
Bei einem kürzlich gehörten Vortrag wurde das Thema aufgegriffen, Anna hat von diskriminierenden Situationen in Meetings erzählt. Wenn euch das Thema interessiert, findet ihr u. a. bei Floria Moghimi ein paar Ideen, wie in Meetings inklusiver gestalten könnt. Von der Uhrzeit über die Gesprächszeit bis hin zu einbindenden Methoden.
Vier Tipps für Diversity in Meetings | Floria Moghimi