Gerda (52) ist in Belgien aufgewachsen und seit mehreren Jahren in der Schweiz. Sie arbeitet im Marketing eines Maschinenbauunternehmens und engagiert sich für Frauenrechte. Gerda hat sehr spannende, für mich neue Gedanken und sehr persönliche Einblicke mit mir geteilt. Eine starke Frau mit einer starken Vision. Der Schwerpunkt unseres Gesprächs drehte sich um das Spannungsfeld Männer/Frauen. Ich habe außerdem einen themenbezogenen Einblick in die Schweiz erhalten und erfahren, warum internationale Unternehmen für Gerda die Arbeitgeber erster Wahl sind.
Gerda, vielen Dank, dass du dich auf meinen Interviewaufruf gemeldet hast. Ich freue mich sehr auf deine Perspektive. Was verbindest du mit Diversität, welche Aspekte spielen für dich eine besondere Rolle?
Gerda: Bis vor wenigen Jahren bezog sich meine Wahrnehmung von Diversität auf die Dimensionen Frauen/Männer, Alter und Nationalität. Jetzt habe ich ein umfassenderes Verständnis und setze mich aktuell z. B. auch stark mit Inklusion auseinander. Die Genderthematik ist für mich aber nach wie vor zentral. Ich engagiere mich für Frauen und Gleichberechtigung. Ich wünsche mir, dass sich der Feminismus in naher Zukunft selbst abschafft und die nächsten Generationen nicht mehr die gleichen Diskussionen führen müssen wie wir. Mein Ziel ist, dass wir alle als Menschen gesehen werden, mit gleichen Verantwortlichkeiten und gleichen Rechten. Solange wir allerdings noch nicht soweit sind, braucht es Wegbereiter*innen.
Du bist selbst Feministin und Wegbereiterin – was bedeutet das für dich? Welche Entwicklung nimmst du wahr?
Seit ich mich mit dem Thema beschäftige – und das hat angefangen, als ich von Belgien in die Schweiz gezogen bin – hat sich natürlich einiges bewegt. Als ich allerdings vor Kurzem das Buch „Lebenswerk“ von Alice Schwarzer gelesen habe, habe ich immer wieder Stellen gelesen, wo ich dachte „Genau so empfinde ich das auch, das kenne ich, da muss ich etwas tun“. Und dann stand in der Quellenangabe so etwas wie „Publiziert in der Brigitte im November 1978“. Da wurde mir wieder bewusst, wie langsam wir uns bewegen. In den vergangenen Jahren schadet außerdem die Diskussion über neue Geschlechtermodelle meiner Meinung nach aber der Emanzipation und dem Feminismus. Ich bin da eher auf der Linie von Alice Schwarzer, die für mich ein großes Rollenmodell und eine Wegbereiterin ist. In der Abkürzung FLINTA werden Frauen in einer Aufzählung mit allen geschlechtsspezifischen Splittergruppen genannt und die Frauenthematik wird dadurch verdrängt. FLINTA steht für Frauen, Lesben, Intersexuelle, Transgender und Agender – also quasi für „Nicht-Mann“. Ich denke auch, dass durch diese Vermischung das Thema insgesamt so vielschichtig wird, dass die Gesellschaft sich kaum mehr damit auseinanderzusetzen kann.
Diesen Gedanken habe ich noch nie gedacht, das ist spannend. Warum ist deiner Meinung nach das Frauenthema nicht stark genug, um ein eigenes Thema zu bleiben? Immerhin betrifft es fast 50 % der Bevölkerung.
Ich habe dazu einen interessanten Artikel in der „Emma“ gelesen (Link weiter unten). Im Kern geht es ja nicht darum, das Frausein an sich zu hinterfragen und allen, die sich mit tradierten Rollenbildern nicht zurechtfinden, „Alternativen“ anzubieten. Ich denke, es ist wichtig, neue Frauenbilder zu schaffen, mit denen sich unterschiedliche Frauen identifizieren können, und die Frauen nicht auf ein „F“ in einem Akronym zu reduzieren. Gerade auch weil wir 50% der Bevölkerung ausmachen, sollten wir 50% der Aufmerksamkeit bekommen. Das Engagement für Frauenrechte läuft seit vielen Generationen und wir müssen dranbleiben. Gerade in der Region DACH ist es wichtig, dass Frauen mit unterschiedlichen Lebensgestaltungen eine Plattform bekommen, als Inspiration für die heutige und kommende Generationen. Und zwar flächendeckend, nicht nur in urbanen Regionen. Mein Engagement für Frauenrechte verstehe ich als gelebte Nachhaltigkeit und als Verpflichtung gegenüber den Mädchen und jungen Frauen im näheren und weiteren Umfeld.
Was sind deiner Meinung nach die großen Themen, wo sich noch deutlich etwas für Frauen verändern muss?
Chancen- und Lohngleichheit sind für mich die wichtigsten Themen. Ich bin ja in Belgien aufgewachsen und 1985 mit einem ganz anderen Selbstverständnis in die Schweiz gekommen. Ich war sehr irritiert, als meine Freundin mir erzählt hat, dass sie als Mädchen Handarbeitsfächer belegen musste und keinen Zugang zu den „Jungenfächern“ wie Geometrie oder Algebra hatte. Mädchen hatten es daher unheimlich schwer, überhaupt in ein Gymnasium aufgenommen zu werden. Diese Ungleichheit in der Ausbildung wirkt sich ein ganzes Leben lang aus und führt immer wieder zu Altersarmut bei Frauen. Mein Anliegen ist daher, dass während der Erziehung und Ausbildung die Basis für Chancengleichheit geschaffen wird. Jungen und Mädchen müssen die selben Bildungswege offenstehen. Lehrkräfte dürfen keinen Unterschied machen und sollten genderneutrale Möglichkeiten aufzeigen und Potenziale erkennen. Ein anderes zentrales Thema ist natürlich die Kinderbetreuung, die nach wie vor zum Großteil von den Frauen übernommen wird. Es braucht Strukturen und Betreuungseinrichtungen, damit Frauen sich nicht zwischen Kind und Karriere entscheiden müssen.
Hast du selbst diesen Druck erlebt, dich entscheiden zu müssen? Hast du als Frau Nachteile in deinem Berufsleben erfahren?
Ja, sehr deutlich sogar. Dass Frauen in Jobgesprächen ihre private Situation und ihren Kinderwunsch offenlegen müssen, ist ein absolutes No-Go. Männer müssen sich dahingehend nie erklären. Bis zu meinem 40. Geburtstag habe ich bei Bewerbungen „ledig, Familienplanung abgeschlossen“ geschrieben, um zu Gesprächen eingeladen zu werden. Auch wenn die Frage rechtlich nicht gestattet ist, ich habe immer wieder erlebt, dass ich auf Umwegen dazu gedrängt wurde, Stellung zu beziehen.
Ich möchte noch einmal auf einen Aspekt zurückkommen, über den ich immer wieder nachdenke. Du hast Role Models und Wegbereiter*innen angesprochen. Wie wichtig waren diese für dich?
Sehr wichtig. Meine Tante z. B. war ein „Fräulein“, also eine alleinstehende Frau, die für ihre Generation einen sehr guten Job als Chefsekretärin hatte und unabhängig war. Sie hat mir den Weg geebnet, mich beruflich weiterbilden und eine Karriere verfolgen zu dürfen. In meinem privaten Umfeld wurden verschiedene Familienmodelle und Lebensweisen gleichermaßen akzeptiert. Die Gesellschaft in der Schweiz ist da allerdings anders, da gibt es auf vielen verschiedenen Ebenen subtile Anspielungen. Wenn z. B. Eltern von drogenabhängigen Jugendlichen portraitiert werden, dann sind diese oft Geschiedene oder Alleinerziehende. Rollenmodelle wie meine Tante haben mich geprägt. Ich möchte Frauen daher auffordern, dass sie stärker für ihre Rechte eintreten und im Kleinen bzw. im Alltag etwas verändern, zum Thema sensibilisieren und Schieflagen ansprechen.
Du arbeitest als Marketingverantwortliche in einem Maschinenbauunternehmen. Was schätzt du an deinem jetzigen Arbeitgeber? Was ist dir wichtig bei der Jobwahl?
Mein aktueller Arbeitgeber ist sehr modern geführt. Unser Firmengründer ist ursprünglich aus Dänemark. Wir haben ein multinationales Führungsteam und ich merke, dass das etwas ganz anderes ist als bei einem typischen Schweizer Maschinenbauer. In der Branche ist es ja oft so, dass ein Unternehmen einen Hauptsitz hat und von dort mit einer starken nationalen Identität exportiert. Wir sehen uns als internationales Unternehmen. Unsere etwa 1.400 Mitarbeiter*innen bringen mehr als 60 Nationalitäten mit. Wir diskutieren nicht mehr über Geschlechter, wir sehen den Menschen mit seinen Kompetenzen. Wir lernen alle voneinander. Und genau das wäre auch auf größerer Ebene notwendig: Männer und Frauen, alle Geschlechter, müssen gemeinsam daran arbeiten, der nächsten Generation eine bessere Welt zu hinterlassen. Ich habe in meinem Leben schon viele Chancen von Männern bekommen, die den Mehrwert einer gleichberechtigten Gesellschaft realisiert haben. Es geht nur miteinander.
Identitätsdebatte: FLINTA* statt Frau
„Ist Frau zum Problem geworden?“, das fragt sich die Wienerin Gertraud Klemm. Sie sorgt sich, dass wir Frauen unsichtbar werden. Ein Beitrag zum identitätspolitischen Ballett im Feminismusdiskurs.
Fun Fact – oder eben auch nicht!
In der Schweiz haben Frauen erst seit 1971 ein Wahlrecht!
Diese Konditionierung ist natürlich noch in vielen Köpfen drin.
Gütesiegel „Made in Switzerland“
Ich habe mit Gerda diskutiert, inwiefern ehemalige Gütesiegel wie „Made in Switzerland“ oder „Made in Austria“ an Bedeutung verlieren. Stehen diese Hinweise noch für die gewohnte Qualität oder für einen altmodischen Nationalbezug? Habt ihr euch dazu schon einmal Gedanken gemacht? Wie erleben das diejenigen von euch, die im Vertrieb arbeiten?
Wer bediente bei der Jubiläumsfeier des FC Basel die Gäste?
Gerda hat mir erzählt, dass der FC Basel die eigene Damenmannschaft bei einem Vereinsjubiläum vor einigen Jahren dazu verdonnert hat, im Service mitzuarbeiten und Lose zu verkaufen. Dafür gab es aber abseits der Veranstaltung in einem kleinen Nebenraum lecker Brötchen.
Damit schaffte es der FC Basel international in die Berichterstattung:
Jubiläum des FC Basel sorgt für weltweite Schlagzeilen.