Ronke hat vergangene Woche die 60. Folge ihres Podcast zum Thema Frauen in technischen Berufen veröffentlicht. Herzliche Gratulation! Das ist natürlich auch für mich im Hinblick auf Diversity ein sehr spannender Aspekt. Ich habe mich sehr gefreut, dass Ronke meinem Interviewaufruf gefolgt ist. Wir haben uns darüber unterhalten, dass Frauen – nicht nur, aber auch – in technischen Berufen sichtbarer werden müssen, um andere Frauen zu inspirieren. Wir haben über die Wirkung von Role Models und Frauennetzwerken gesprochen. Und Ronke hat mir erzählt, wie sich ihr Anderssein aufgrund ihrer Hautfarbe lange Zeit auf die Wahrnehmung von Männern und Frauen in technischen Berufen ausgewirkt hat.

 

Ronke, du führst einen Podcast mit dem Namen “Women in Technology Spotlight”. Was hat dich dazu inspiriert? Welches Ziel verfolgst du mit deinem Podcast?

Ronke: In meinem Podcast interviewe ich Frauen, die Karriere in MINT-Berufen machen. Es geht mir darum, Vorbilder und Role Models zu zeigen, die andere Frauen inspirieren, eine ähnliche berufliche Laufbahn aufzugreifen. Ich will Frauen zeigen, dass die Technik ein spannendes Berufsfeld ist. Das ist das eine Ziel. Das andere Ziel ist, den Frauen in der Technik eine Bühne zu geben. Viele Frauen, die ich frage, ob ich sie für meinen Podcast interviewen darf, sind unsicher, ob ihre Geschichten spannend genug sind. Dabei sind alle Perspektiven interessant und mir geht es vor allem ja darum, zu zeigen, dass Frauen in technischen und naturwissenschaftlichen Branchen genauso erfolgreich sein können wie Männer. Ich kenne dieses Gefühl der Unzulänglichkeit aber auch von mir selbst: Als ich heute in meinem Kalender gesehen habe, dass wir diesen gemeinsamen Termin haben, habe ich auch kurz überlegt, ob ich dafür wirklich die Richtige bin.

 

Du bist auf jeden Fall eine von vielen Richtigen und ich freue mich sehr, dass wir heute sprechen. Ich habe über dieses „Phänomen“ auch schon nachgedacht, weil in meiner Wahrnehmung die Barriere, meinem Interviewaufruf zu folgen, für Frauen höher ist. Ich folge auf LinkedIn vielen Frauen, die sehr präsent sind und eine starke Meinung vertreten: Meinst du, das sind eher noch Ausnahmen?

Das hängt ja alles mit unserer Sozialisation zusammen. Wir lernen als kleine Mädchen bereits, dass wir uns zurückhalten und still sein sollen, dass wir freundlich und unterstützend sein sollen. Ich interviewe meistens Frauen, die deutlich jünger sind als ich, und ich hatte eigentlich die Hoffnung, dass jüngere Generationen von Frauen ein anderes Selbstbewusstsein haben und sich stärker in den Vordergrund trauen. Aber das erlebe ich nicht so. Es sind wirklich Ausnahmen, die von allein auf mich zukommen. Und meistens sind das keine Europäerinnen, sondern Frauen aus anderen Kulturkreisen, z. B. aus Indien. Meiner Meinung nach ist das noch immer nicht die Norm, dass Frauen sich genauso selbstbewusst zeigen wie Männer.

 

Ich muss noch mit einer weiteren Frage bei diesem Thema bleiben, weil mir das persönlich ein ganz großes Anliegen ist. Wenn ich darüber nachdenke, hatte ich in meiner Kindheit und Jugend nicht wirklich jemanden, der meine Talente gefördert und mir die Vielfalt an beruflichen Möglichkeiten aufgezeigt hat. Ich denke, dass Role Models eine extrem wichtige Inspiration sind. Wie beurteilst du den Stellenwert von Vorbildern?

Für mich ist das ein extrem wichtiger Aspekt, dass Mädchen und Frauen gezeigt werden, die nicht den Stereotypen entsprechen und in verschiedensten Berufsfeldern unterwegs sind. Ich finde, dass es viele großartige Frauen gibt – und immer schon gab –, die ihre eigenen Wege gehen. Diese Frauen brauchen aber eine Bühne, sie müssen sichtbarer werden. Mein Motto dazu ist „if you see it, you can do it” – mein Wunsch ist, dass wir Frauen mit Frauen in Kontakt bringen. Es soll als Selbstverständlichkeit wahrgenommen werden, dass Frauen in allen möglichen Berufsfeldern agieren. Das war der Beweggrund für meinen Podcast: Wir wollen Frauen in die Technik bringen, aber wir sagen ihnen nicht, was wir dort überhaupt machen. Bzw. hören viele Mädchen schon in der Schule, dass z. B. Mathematik nichts für sie ist. Ich kenne viele Frauen, die erst relativ spät in die Technik gewechselt haben, weil sie vorher die Möglichkeiten gar nicht kannten. Das will ich mit meinem Podcast ändern.

 

Erzählst du mir etwas über deinen Weg in die Technik?

Ja, sehr gern. Ich habe selbst Chemie studiert, mein Doktorat in theoretischer Chemie absolviert und bin jetzt seit über 20 Jahren im IT-Bereich unterwegs. Begonnen hat das damit, dass gerade das Internet Einzug in den Universitätsbetrieb gefunden hat und ich mit Computern gearbeitet habe. Das hat mein Interesse geweckt. Ich habe programmieren gelernt und dann relativ bald den Entschluss gefasst, dass ich nicht weiter in der Chemie arbeiten, sondern mich mit den neuen Technologien auseinandersetzen möchte. Ich glaube, dass ich so lange und erfolgreich in der IT unterwegs bin, hängt auch damit zusammen, dass ich lange nicht bemerkt habe, wie männlich diese Branche besetzt ist. Schon während dem Chemie-Studium war ich hauptsächlich von männlichen Studierenden umgeben, der Frauenanteil nahm von Semester zu Semester ab. In der IT war das genauso. Mir ist das relativ lange aber gar nicht aufgefallen. Ich habe darüber nachgedacht, warum das so ist: Vermutlich lag das daran, dass ich mich aufgrund meiner Hautfarbe schon immer als „anders“ erlebt habe.

 

Danke, dass du diese Gedanken mit mir teilst. Kannst du mir das mit dem Anderssein noch genauer beschreiben?

Ich bin damit aufgewachsen, anders zu sein als andere. Anders behandelt zu werden, war für mich so selbstverständlich, dass ich diese weitere Perspektive als Frau in einem technischen Beruf nicht bemerkt habe. Die Auseinandersetzung mit Diversity, Equity und Inclusion hat auch erst vor einigen Jahren so wirklich Raum bekommen. Da habe ich dann auch über meine berufliche Laufbahn nachgedacht und begonnen, Dinge zu hinterfragen.

 

Warum meinst du, ist es so wichtig, Frauen in die Technik zu bringen?

Das Geschlecht darf kein Anhaltspunkt für die Berufswahl sein. Ich kenne viele Frauen, die enormes Potenzial für technische Berufe mitbringen. Die Vorteile diverser Teams sind durch viele Studien bewiesen. Ein weiteres Argument für technische Berufe sind außerdem die relativ guten Verdienstmöglichkeiten. Einmal abgesehen von der dramatischen Ungerechtigkeit in der Bezahlung von verschiedenen Berufsgruppen sehe ich überhaupt nicht ein, warum Frauen in Berufe „gedrängt“ werden, die deutlich schlechter bezahlt sind. Ich bin davon überzeugt, dass viele Frauen von vornherein andere Berufsfelder wählen würden, wenn sie ordentlich beraten und ihnen die Perspektiven aufgezeigt werden. Für mich bedeutet Arbeit, dass wir Lebenszeit zur Verfügung stellen. Dass die Zeit mancher Menschen so viel schlechter „bewertet“ wird als die von anderen, ist komplett unverständlich. Im Endeffekt ermöglicht ein gut bezahlter Job ein selbständiges und unabhängiges Leben. Darauf haben Männer und Frauen das gleiche Recht. Darum bin ich auch eine Verfechterin des bedingungslosen Grundeinkommens, und zwar in einem deutlich höheren Umfang. Die Mindestsicherung ist natürlich im Vergleich zu anderen Regionen unserer Welt – mein Vater lebt z. B. in Nigeria – schon ein großer Fortschritt, aber wir sind noch weit nicht dort, wo wir sein könnten.

 

Da würde ich gern noch nachhaken. Ich denke manchmal darüber nach, inwiefern unsere Bestrebungen „Jammern auf hohem Niveau“ sind – oder ob wir in unseren Lebensrealitäten nicht auch Weichen stellen können für eine Verbesserung der Situation in anderen Regionen. Können wir „im Kleinen“ eine Welt gestalten, die die globalen Ungerechtigkeiten besser lösen kann, als wir es aktuell machen? Hast du dazu eine Meinung oder Gedanken?

Ja, inhaltlich sehe ich das auch so. Ich weiß, dass ich privilegiert bin. Gerade im Vergleich zu Nigeria, wo ich teilweise auch aufgewachsen bin, sehe ich natürlich enorme Unterschiede. Ich sehe es als unglaubliches Glück an, dass mein Vater zum Studieren nach Österreich gekommen ist und ich daher hier meine Heimat habe. Nichtsdestotrotz hat jede*r von uns nur ein einziges Leben und den Wunsch, sich zu verwirklichen. Wir sind auf der Suche nach Zufriedenheit – und wie ich für mich Zufriedenheit definiere, hängt sehr stark von dem System ab, in dem ich mich bewege. Daher ja, wir jammern auf hohem Niveau, aber trotzdem kann unser individueller Schmerz genauso groß sein wie bei jemandem, der nicht so privilegiert ist. Das ist die eine Sache. Auf der anderen Seite sehe ich diese furchtbare Welt, in der wir leben, von weißen Männern gestaltet, die sich auf ihren Privilegien betten und mit unglaublichen Scheuklappen Entscheidungen treffen. Wir leben in einer Welt, in der es viele Muster und Verhaltensweisen gibt, die wir hinnehmen wie Naturgesetze. Wie ich mich z. B. im Beruf kleiden muss, wie der Arbeitstag aufgeteilt wird, usw. Nichts davon ist festgeschrieben, das muss so nicht sein. Ich glaube, dass Frauen einen stärkeren Community-Gedanken mitbringen. Ich bin überzeugt, wenn mehr Frauen in entscheidenden Positionen sind, dann wird sich diese Welt verbessern.

 

Dieses Statement würde ich gerne zum Abschluss unseres Interviews aufgreifen und dich nach deinen Ideen fragen, wie mehr Frauen in entscheidende Positionen kommen können. Bist du in deinem bisherigen Berufsleben seitens Arbeitgeber schon guten Initiativen begegnet, die du weiterempfehlen kannst?

Bei einem meiner bisherigen Arbeitgeber wurde über alle Standorte hinweg z. B. ein WISE-Netzwerk für „Women in System Engineering“ etabliert. Das Ziel ist, dass Frauen sich gegenseitig unterstützen. Ich kann mich noch erinnern, als ich am ersten virtuellen Meeting teilgenommen habe und einen Bildschirm voller Frauen gesehen habe, die das gleiche machen wie ich. Das zu sehen und mich in diesen Frauen wiederzuerkennen, war ein sehr spannender Moment für mich. Ich dachte, das ist genau das, was mir die ganze Zeit gefehlt hat. Das hat mich sehr bewegt und motiviert mich immer noch, weitere Frauen für technische Berufe zu begeistern und sie dabei zu unterstützen, ihren individuellen Weg zu gehen. Wir Frauen müssen Frauen promoten, um den strukturellen Ungerechtigkeiten entgegenzuwirken. Mir ist generell wichtig, dass Frauen Communities bilden, in denen sie sich gegenseitig empowern. Dafür habe ich vor Kurzem die Plattform „The Queen Bee Hive“ gelauncht.