Pamela (46) lebt am Stadtrand von Wien und ist Expertin für New Work und Agilität. Ich habe mit ihr darüber gesprochen, inwieweit diese Themen auch auf Diversity einzahlen bzw. gemeinsam verfolgt werden sollten. Obwohl sich Pamela bereits intensiv mit Diversität beschäftigt hat, erzählte sie mir von ihrem bis vor Kurzem blinden Fleck in Bezug auf körperliche Einschränkungen. Diese Offenheit hat mir sehr imponiert. Wir sollten alle viel großzügiger auf unsere blinden Flecken blicken und sie nicht als Mangel sehen.
Pamela, ich freu mich sehr auf deine Perspektive. Welche Berührungspunkte hast du zu Diversity, Equity und Inclusion?
Pamela: Ich brenne für Diversity und finde es enorm wichtig, ähnlich wie eine Evangelistin immer wieder darüber zu sprechen, um immer mehr Menschen dafür zu sensibilisieren. Meine persönliche Mission ist, das Thema Inclusion voranzutreiben – und dafür ist Diversity die Basis. Ich muss mir zuerst darüber Gedanken machen, was Diversität für mich bedeutet und wo strukturelle Diskriminierungen stattfinden. Die Dimensionen, mit denen ich mich am liebsten auseinandersetze, sind Alter, Ethnizität und Beeinträchtigung. Wobei ich dazusagen muss, dass die Dimension Beeinträchtigung bis vor kurzem ein blinder Fleck für mich war, obwohl ich mich schon länger intensiv mit Diversität beschäftige. Ich habe vor kurzem „Zero Project“, eine Initiative der Essl Foundation, zur Aufklärung und Unterstzützung der beruflichen Integration von Menschen mit Behinderung, kennengelernt und bin im Februar im Rahmen des Audi-Summits zum Thema Diversity tiefer in diese meiner Meinung nach zu wenig beachtete Dimension eingetaucht. Beeinträchtigte Personen sind praktisch unsichtbar. Das möchte ich ändern.
Welches Potenzial siehst du in der Diversitätsdimension körperliche Beeinträchtigung konkret?
Es gibt viele Personen, die nicht trotz, sondern gerade aufgrund ihrer Behinderung sehr erfolgreich sind. Ich bin überzeugt, dass Menschen mit Behinderung Innovation und New Business schaffen können. Auf der einen Seite führe ich das darauf zurück, dass diese Personen in ihrer persönlichen Historie lernen mussten, mit Einschränkungen zu leben und dadurch kreativer in der Lösungsfindung geworden sind. Meine Theorie ist außerdem, dass Menschen, die einige Herausforderungen im Leben gemeistert haben, leichter mit Anpassungen und Veränderungen zurechtkommen und eine besondere Motivation mitbringen. Die Marien-Apotheke in Wien ist z. B. die erste Apotheke in Österreich, die einen gehörlosen Pharmazeuten eingestellt hat. Das hat für das Team natürlich Herausforderungen mit sich gebracht, gleichzeitig aber dafür gesorgt, dass jetzt viele Gehörlose in genau dieser Apotheke einkaufen und dadurch der Umsatz gestiegen ist. Bei „Zero Project“ habe ich außerdem einen stark sehbehinderten Mann kennengelernt, der in Eigenregie eine Kamera auf seine Schuhe installiert hat, die ihm Hindernisse wie „Stiege“ oder „Steigung“ meldet und dadurch seine Autonomie fördert. Aus diesen Gedanken entstehen auch Features für gesunde Menschen, Stichwort Indoor Navigation.
Du bist Expertin für New Work und Agilität. Wie spielen diese Themen deiner Meinung nach in das Thema Diversität hinein und umgekehrt? Siehst du auch eine Verbindung zu Nachhaltigkeit?
Ich nehme wahr, dass sich die Arbeitswelt kontinuierlich verändert und bin davon überzeugt, dass wir mehr Miteinander benötigen, um die damit verbundenen Herausforderungen bewältigen zu können. Meiner Meinung nach braucht es Menschen und Organisationen, die parallel gemeinsam an der Lösung von Problemen arbeiten. Ein Erfolgsbeispiel ist für mich die Entwicklung der Corona-Schutzimpfung. Weltweite Anstrengungen wurden zusammengeführt und haben innerhalb kürzester Zeit die Marktreife eines Impfstoffs ermöglicht. Genau diesen offenen Blick hinaus in die Welt würden wir auch bei der Lösung vieler anderer aktueller Herausforderungen benötigen. Wenn wir uns die Sustainability Development Goals der Vereinten Nationen ansehen, dann gibt es da viele verschiedene Ziele, die alle auf das Thema Nachhaltigkeit einzahlen. Ein wesentlicher Bereich bezieht sich auf menschengerechtes Arbeiten, die Reduzierung von Armut, die Steigerung von Bildung. Genau da kommen „meine Themen“ New Work und Inklusion zum Tragen. Der Schlüssel ist für mich, ganz offen zu fragen, wer etwas zur Lösung eines Problems beitragen kann und alle Beiträge dann auch willkommen zu heißen.
Hast du Ideen, wie dieser offene Blick gefördert werden kann?
Dazu vielleicht auch ein Beispiel: Ich habe gerade einen Post gelesen, dass eine Organisation händeringend nach Kleinkindpädagog*innen sucht, und daran verzweifelt, dass keine Vollzeitkräfte gefunden werden. Da liegt für mich die Frage auf der Hand, warum die Stelle nicht mit zwei Teilzeitkräften besetzt werden kann. Und warum werden nicht auch Studierende, Männer, ältere Personen, usw. in Betracht gezogen. Warum wird nicht einfach das Spektrum geöffnet und nach neuen Lösungen gesucht? Es hilft nicht, zu klagen – es müssen neue Möglichkeiten geschaffen werden. „If it doesn’t go right, go left“, ist eines meiner liebsten Mottos. Diese Kreativität ist, was meiner Meinung nach Diversität ermöglicht. Genau darin liegt der Erfolg von Diversität, der Weg dahin führt über Inklusion.
Was ist für dich der wichtigste Treiber für Inklusion? Wie erreiche ich, dass Menschen aus intrinsischer Motivation einen Beitrag leisten?
Damit Personen einen Beitrag leisten und ihre Kompetenzen und Erfahrungen einbringen, muss ich ein Klima der Zugehörigkeit schaffen. Dazu fällt mir eine Geschichte ein, die ich kürzlich in einem Podcast gehört habe. Das Rapperduo Esrap, Bruder und Schwester türkischer Abstammung, bereits in der dritten Generation in Österreich lebend, haben im Podcast von Eser Akbaba „Sag’s multi“ auf Ö1 zum Thema Inklusion Stellung genommen. Esra meinte z. B. „Ich bin in Ottakring geboren, ich habe noch nie wo anders gelebt. Mehr Ottakringerin als mich gibt es gar nicht, aber trotzdem fühle ich mich weder angenommen noch angekommen.“ Das hat mich sehr beschäftigt. Ich habe mich gefragt, was wir falsch machen, dass Menschen, die hier geboren sind und ihr ganzes Leben in Österreich verbringen, sich nicht zugehörig und hier beheimatet fühlen. Genau darum ist es mir so wichtig, in meinen Workshops ganz klar die Unterschiede von Integration und Inklusion zu zeigen. Wenn wir wollen, dass Menschen sich einbringen, dann müssen wir sie einladen, mitzumachen und zu partizipieren – wir dürfen sie nicht wie Gäste oder Fremde behandeln.
Darf ich dich als Woman of Colour fragen, welche Erfahrungen du persönlich zu diesem Thema gemacht hast? Fühlst du dich in Österreich zuhause?
Darüber habe ich erst neulich wieder nachgedacht und die Antwort ist ja. Ich muss aber dazusagen, ich bin österreichisch autochthon erzogen und in einer weißen Familie groß geworden. Ich wurde in durch die Großeltern sehr katholisch mit allen Brauchtümern und Traditionen erzogen. Ich kenne viele Volkslieder, meine Großmutter hat gejodelt. Daher habe ich eine starke österreichische Identität. Während ich mich dadurch nie fremd gefühlt habe, wurde ich von anderen oft als fremd angesehen. Das hat natürlich auch etwas mit mir gemacht. Von 100 Personen hat mich eine*r schief angeschaut, beschimpft oder mir vor die Füße gespuckt. Diese Erfahrungen sind eine harte Schule, aber sie sind eine Schule. Das führt mich wieder dazu, dass ich denke, dass eben solch herausfordernde Erfahrungen Menschen reflektierter, offener und zugänglicher für andere Sichtweisen machen. Diese Menschen bringen ein inklusiveres Denken und Handeln mit.
Meinst du, dass dieses inklusive Denken und Handeln auch erlernt werden kann? Können Unternehmen diese Veränderung im Mindset bewusst unterstützen?
Ja, auf jeden Fall. Wenn Unternehmen Diversity schulen und begleiten, dann findet eine allgemeine Auseinandersetzung mit dem Thema und mit den Menschen in der Organisation statt. Permanente Aushandlung, Neugierde wecken, Perspektivwechsel – das sind nur einige Beispiele, wie Diversity in Teams trainiert werden kann. Es wäre auch hilfreich, wenn wir begreifen, dass wir mit unserem eurozentristischen Weltbild die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen haben. Wir müssen akzeptieren, dass wir nur kennen, was wir in unserer hochindustrialisierten Realität erleben. Eine Kollegin aus Guatemala bringt zu einem Problem vielleicht eine komplett andere Sichtweise ein, die zu einer Lösung führt, auf die ich, du oder jemand anders aus Europa nicht einmal im Traum gekommen wären. Genau das ist für mich Diversität. Diversität ist keine Sozialromantik, kein Nice-to-have. Diversity ist für mich die einzige Möglichkeit, wie wir alle auf dieser Welt zu einem besseren Miteinander kommen. Lösungen, die wir nicht sehen, sehen andere vielleicht schon. Dinge, die wir nicht können, können andere vielleicht schon. Miteinander können wir definitiv mehr.
Zero Project
Zero Project fungiert als Plattform zum Abbau von Barrieren, insbesondere im Bereich der Beschäftigung.
Mit den Veranstaltungen „Unternehmensdialoge“ und „Branchendialoge“ vernetzt und sensibilisiert Zero Project Austria Unternehmen, Entscheidungsträger und Mitarbeiter. Diese Initiativen konzentrieren sich nicht nur auf die Rechte von Menschen mit Behinderungen, sondern zeigen auch bewährte Praktiken im ganzen Land auf.