Myriams (38) Vision von Diversity geht hin zu einem starken Miteinander. Jeder Mensch sollte das eigene Zuhause frei wählen und die persönlichen Potenziale leben können. Den Ausgangspunkt für ihre Auseinandersetzung mit Diversity bildeten diskriminierende Erfahrungen, die Myriam in der Rolle der alleinerziehenden Mutter machte. Einige Parallelen zu meinem Leben lösten mehrfach Gänsehaut bei mir aus. Das Interview mit Myriam ist für mich sehr wertvoll und lesenswert für alle, die entweder selbst alleinerziehend und auf der Suche nach Rollenvorbildern sind, oder die bereit sind, auch mit diesem Interview in eine neue Perspektive einzutauchen.
Myriam, du bist meinem Interviewaufruf via LinkedIn gefolgt und ich bin sehr gespannt, wohin uns das heutige Gespräch führt. Ich freu mich, danke für dein Vertrauen. Welche Berührungspunkte hast du beruflich und/oder privat zum Thema Diversity?
Myriam: Ich fühlte bis vor einigen Jahren tatsächlich keine Berührungspunkte zum Thema Diversity. Dass sich Unternehmen und im Speziellen HR Abteilungen damit beschäftigen, habe ich aus der Entfernung mitbekommen. Einige Erlebnisse haben dann dazu geführt, dass ich mich jetzt stark mit Gender Equality und Diversity auseinandersetze. Ich habe mir zum einen intensiv über meine neue Rolle als Mutter Gedanken gemacht und eine gesellschaftliche Verpflichtung wahrgenommen. Auf der anderen Seite habe ich als Alleinerziehende Diskriminierung gespürt. Ich spüre im beruflichen Umfeld ein distanziertes Verhalten mir gegenüber. Immer, wenn ich anspreche, dass ich alleinerziehende Mutter bin, merke ich, dass sich meine Gesprächspartner*innen zurückziehen. Viele Menschen denken, dass ich privat so eingespannt bin, dass ich beruflich nicht mehr belastet werden kann. Ich fühle meine Leistungsfähigkeit permanent in Frage gestellt. Auch wenn das mit guten Absichten passiert, erlebe ich es als ausgrenzend. Das hat totale Irritation bei mir ausgelöst. Ich bin ein Mensch, der sich schon immer auch stark über den Job definiert hat und berufliche Herausforderungen sucht.
Gänsehaut bei mir, weil ich das so gut nachfühlen kann. Ich habe das Thema Alleinerziehende noch nicht in meinen Interviews angesprochen. Dabei ist es auch für mich ein zentraler Aspekt und eine der Antriebsfedern für meine Auseinandersetzung mit Diversity. Magst du mir erzählen, wie diese diskriminierenden Erfahrungen dich zu Diversity geführt haben?
Ich habe mich mit dem Frausein und Muttersein auseinandergesetzt und mich mit verschiedenen feministischen Strömungen befasst. Ich wollte Themen, die ich unterbewusst schon länger wahrgenommen habe, begreifen und benennen können, damit ich in die Diskussion mit anderen einsteigen kann. Ich will etwas bewegen. Ich bin überzeugt, dass wir die Welt neu denken und uns von einigen althergebrachten Rollenzuschreibungen und Erwartungen trennen müssen. Nach wie vor komme ich in Situationen, in denen es mich irritiert, dass andere Menschen nicht so denken und mit Scheuklappen jede Veränderung ablehnen. An diesem Punkt bin ich dann auch in das Thema Diversity allgemein eingestiegen. Ich stehe noch am Anfang, aber ich spüre das starke Bedürfnis, dass ich andere Menschen auf dieser Reise mitnehme. Meiner Meinung nach braucht es eine freundliche, aber konsequente Auseinandersetzung mit Diversity. Das Thema muss offen angesprochen werden können. Es muss zur Selbstverständlichkeit werden, dass nicht alle gleich ticken und die gleichen Bedürfnisse haben.
Auch das kann ich aus meiner Perspektive sehr gut nachempfinden. Machst du dir Gedanken, wie das Stigma der Alleinerziehenden aufgelöst werden könnte?
Ja, auf jeden Fall. Ich stelle mir die Frage, wie ich mir als alleinerziehende und berufstätige Mutter eine Welt schaffen könnte, in der ich meinen privaten und beruflichen Ambitionen nachgehen kann, ohne das eine gegen das andere ausspielen zu müssen. Ich frage mich einerseits, wie ich meine Attraktivität als Arbeitnehmerin erhöhen kann und über welche Attribute ich mich beruflich beschreiben würde. Andererseits überlege ich, welche Rahmenbedingungen Unternehmen bieten könnten, damit das Alleinerziehende nicht mehr ins Gewicht fällt. Es gibt Menschen, die einem zeitintensiven Hobby nachgehen oder die Pflege für Angehörige übernehmen. Es gibt auch Menschen, die einfach nicht zu jeder Uhrzeit erreichbar und auf jedem Abendevent dabei sein wollen. Mein Wunsch ist, dass das alles auf der gleichen Ebene betrachtet wird. Ich frage mich, was uns alle verbindet. Und das ist auch meine Zugangsweise zum Thema Diversity. Wir sind alle Menschen – niemand sollte sich dafür rechtfertigen müssen, welche Prioritäten das eigene Leben bestimmen und welche Entscheidungen für das eigene Leben getroffen werden.
Hast du darüber nachgedacht, welchem Umgang du dir wünschen würdest? Wie kann es gelingen, Personen in ihrer Lebensrealität abzuholen, ohne ihnen das Gefühl zu geben, dass sie sich für ihre Rahmenbedingungen oder Entscheidungen rechtfertigen müssen?
Durch meine Erfahrungen bin ich sehr vorsichtig damit geworden, mir ein Bild von anderen Menschen zu machen. Mir ist bewusst geworden, dass Situationen sehr individuell interpretiert und gefühlt werden. Diese Sensibilität nehme ich auch bei vielen Personen in meinem Umfeld wahr. Gleichzeitig erlebe ich, dass diese Sensibilität oft mit Unsicherheit verbunden ist. Statt der Frage „Kriegst du das hin?“ würde ich z. B. lieber die Frage hören „Was brauchst du, um es ermöglichen zu können?“. Und diese Frage hat jede*r im Team verdient. Jede*r darf unabhängig von der eigenen Situation über Bedürfnisse sprechen. Was brauchen wir, um gute Arbeit leisten zu können – da schließt sich für mich wieder der Kreis zu Diversity. Wenn Bedürfnisse und Kompetenzen gesehen werden, dann geht der Fokus weg von der allzeit verfügbaren Arbeitskraft hin zu den einzelnen Menschen. Dann können ganz unterschiedliche Personen ihre individuellen Stärken einbringen und Vielfalt entsteht.
Du hast gemeint, dass du gerade in das Thema Diversity einsteigst und dich intensiv damit auseinandersetzt. Hast du Empfehlungen? Welche Bücher oder andere Inhalte haben dich bisher auf deiner Reise weitergebracht?
Wir lesen gerade das gleiche Buch, wie ich auf LinkedIn gesehen habe: „New Moms for Rebel Girls“. Es gibt sehr viel Literatur rund um Diversity. Was mir noch etwas fehlt, ist eine Unterstützung bei der Suche nach meinem Weg, wie ich das für mich reflektieren kann. Ich finde es ehrlich gesagt gerade sehr anstrengend, meinen Weg zu finden und meine Rolle neu zu definieren. Jetzt komme ich wieder auf das Thema Alleinerziehende zurück – ich habe niemanden, mit dem ich mir die Care-Arbeit teilen kann. Ich bin in einer „Old-School-Mutterrolle“ gefangen, die sich aktuell nicht auflösen lässt. Ich kann nicht mit meinem Partner daran arbeiten, eine gleichberechtigte Lösung zu finden. Ich bin in einer Rolle, die ich eigentlich schon in jungen Jahren boykottiert habe, und muss jetzt für mich einen Weg finden, der zu meinem Selbstbild passt. Um auf deine Frage zurückzukommen: Schritt für Schritt. Ich nähere mich mit Büchern, Beiträgen auf Social Media, usw. an. Für mich ist zentral, dass ich dabei immer darauf achte, was die Inhalte mit mir machen und was ich weiterverfolgen möchte.
Du hast einen Aspekt angesprochen, auf den ich gern näher eingehen würde. In vielen meiner Interviews kam bereits das Thema der Aufteilung von Sorgearbeit zwischen den Elternteilen zur Sprache. Ich lese auch viel dazu, wie Mütter entlastet und Väter präsenter in der Familie werden. Aber natürlich gibt es nicht in jeder Familie diese Konstellation, wo überhaupt über die Aufteilung diskutiert werden kann. Wie können alleinerziehende Mütter und Väter deiner Meinung nach eine gute Balance und Entlastung finden?
Auf der einen Seite halte ich mir schon immer wieder selbst vor Augen, dass partnerschaftliche Beziehungen nicht per se eine Entlastung bringen, sondern teilweise sehr konfliktreich und belastend verlaufen. Vor Kurzem wurde mir auch schmerzlich bewusst, dass es in meinem Bekanntenkreis keine einzige Mutter gibt, die finanziell gut genug aufgestellt ist, um überhaupt über eine Trennung nachdenken zu können. Dann erlebe ich in meinem Umkreis einige Paare, die echt versuchen, eine gleichberechtigte Partnerschaft zu leben, aber immer wieder an den Rahmenbedingungen scheitern oder mit den eigenen Rollenmustern kämpfen. Das alles sind Beispiele, die mich wirklich sehr beschäftigen. Ich weiß auch, dass ich ohne Kinder sofort wieder einen Job finden würde. Mir fehlt es nicht an Selbstbewusstsein, Erfahrung oder Bildung. Aber diese äußeren Faktoren sind dann eben so präsent, dass sie mein Leben massiv beeinflussen. Und das will ich nicht. Es muss einen anderen Weg geben, aber den habe ich noch nicht wirklich gefunden. Daher werde ich weiterhin danach suchen und mich dafür einsetzen – für mich und für meine Kinder bzw. die Kinder von anderen.
Meine Hoffnung…
Digitalisierung und IT sind wachsende Berufsfelder. In mehreren Interviews habe ich den Eindruck gewonnen, dass einerseits in diesen Bereichen händeringend nach guten Mitarbeiter*innen gesucht wird und andererseits im Vergleich sehr flexible Arbeitsbedingungen gewährt werden. Top/Job Sharing, Home Office, Teilzeit, freie Zeiteinteilung… Ich wünsche mir, dass dieses Mindset auf andere Branchen und Bereiche überschwappt… Weil warum sollte das nur in der IT funktionieren, um gute Personen zu rekrutieren und zu halten?