Kristina Maria (43) arbeitet Vollzeit in einer Führungsposition in der IT und ist alleinerziehende Mama einer 6-jährigen Tochter. Sie engagiert sich intensiv für andere Frauen, u. a. als ehrenamtliche Trainerin bei „Iamremarkable“-Workshops und als Vorständin bei der Initiative #thenewITgirls, die vor Kurzem mit dem Impact of Diversity Award 2022 ausgezeichnet wurde. Unser Interview dreht sich um Kristina Marias Perspektive als Mutter, als Frau in der IT und als Vorbild für Female Empowerment. Ich lade euch ein, Kristina Maria in diesem Portrait kennenzulernen und ihr dann auf LinkedIn zu folgen.
Kristina Maria, wir kennen uns über LinkedIn und ich erlebe dich als sehr präsente, engagierte Frau, die andere Frauen begeistern und mitreißen will. Ich freu mich sehr auf deine Perspektive. Kannst du mir erzählen, was dich motiviert?
Kristina Maria: Seit ich Mama bin, potenziert sich mein Wunsch, einen Beitrag zu einer besseren Welt zu leisten. Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft wichtige Schritte macht und meine Tochter später einfachere Rahmenbedingungen vorfindet. Für die nächsten Generationen mitzudenken, ist meiner Meinung nach ein starker Motor, um sich zu engagieren. Ich erlebe bei meiner Tochter, wie stark Kinder schon im Kindergarten durch Bücher, Filme, andere Kinder und Erziehende in Schubladen gesteckt und geprägt werden. Ich versuche, mit aller Kraft und großer Mühe dagegen zu arbeiten, gelange aber regelmäßig an meine Grenzen. Meiner Meinung nach ist es eine gesellschaftliche Aufgabe, dass wir schon den Kleinsten ein genderneutrales Bild von sich selbst und anderen Menschen mitgeben müssen.
Kannst du dich noch an deine Kindheit erinnern? Welches Selbstverständnis haben dir deine Eltern mitgegeben?
Ich bin mit zwei Elternteilen aufgewachsen, die für die damalige Zeit sehr fortschrittlich gelebt haben. Beide waren berufstätig und haben sich die Aufgaben im Haushalt geteilt. Ich kann mich noch erinnern, dass mein Papa die „Morgen-Routine“ übernommen und mir damals ohne Youtube-Tutorials Zöpfe geflochten hat. Er hat mich dann auch in den Kindergarten gebracht und war dort immer einer von ganz wenigen Männern. Ich bin mit genderneutralen Spielsachen aufgewachsen – Lego und Playmobil waren in meiner Kindheit noch einfach für alle Kinder. Obwohl ich damals die Hintergründe nicht verstanden habe – und ich weiß noch, dass ich einmal Heulanfälle hatte, weil meine Mama mir keine Barbie-Puppe kaufen wollte –, bin ich rückblickend sehr dankbar, auch wenn sich Barbie selbst mittlerweile gewandelt hat Meine Eltern haben mir mitgegeben, dass es keinen Unterschied macht, ob ich ein Bub oder ein Mädchen bin. Das habe ich meine ganze Schulzeit lang und während dem Studium felsenfest geglaubt, erst im Arbeitsleben kamen erste Zweifel auf.
Das kann ich mir gut vorstellen. Inwiefern ist dein Bild von damals ins Schwanken gekommen? Wie erlebst du dich als Frau im Berufsleben? Hast du diskriminierende Erfahrungen gemacht?
Im Berufsleben habe ich gemerkt, dass das Geschlecht sehr wohl einen Unterschied macht. Je älter ich werde, desto stärker nehme ich diese Unterschiede wahr. Dadurch habe ich vor einigen Jahren meine feministische Seite entdeckt. Ich habe erkannt, dass die Diskriminierung von Frauen ein strukturelles Problem und sehr tief verwurzelt ist. Die patriarchalen Strukturen wirken teilweise so unterschwellig, dass sie gar nicht bewusst wahrgenommen werden. Was mir in Zusammenhang damit auch aufgefallen ist: Je stärker ich in männlich dominierte Berufe vordrang, desto massiver habe ich den Wettbewerb unter den dort tätigen Frauen wahrgenommen. Diese Panik, dass etwas, für das eine Frau gekämpft hat, durch eine andere Frau weggenommen werden könnte, hat mich damals wirklich erschüttert. Ich habe mich dann bewusst entschieden, dieses Spiel nicht zu spielen und meine Ellbogen am Körper zu belassen. Ich wollte es ganz anders machen und dafür habe ich mir Rollenvorbilder und Verbündete gesucht. Wenn ich einen Schritt nach vorn gehe, dann ist das dafür gut, dass ich eine andere Frau nachholen kann – das ist mein Zugang.
Ich erlebe dich auf LinkedIn sehr stark im Bereich Female Empowerment. Du bist eine Fürsprecherin für Frauen in der IT und hast als Teil des Vereins #thenewITgirls vor Kurzem den Impact of Diversity Award 2022 in der Kategorie „Female Stem Performance in Companies“ erhalten. Herzliche Gratulation!
Ich fühle mich als Teil einer starken Community und habe in den vergangenen Jahren einen richtigen Wandel erlebt. In meiner Wahrnehmung sind die gegenseitige Unterstützung und das Miteinander viel stärker geworden. Gemeinsam haben wir einfach eine lautere Stimme, darum engagiere ich mich für Frauen. Ich gehe immer auch auf Männer zu, weil ich glaube, dass „male allies“ starke Unterstützer sein müssen. Wenn alle an einem Strang ziehen, dann können wir wirklich Großes bewegen und z. B. die IT-Branche von innen heraus transformieren. Manchmal bekommt meine Euphorie allerdings einen Dämpfer, wenn ich mich mit Personen austausche, die sich bereits seit 20 oder 30 Jahren mit dem Thema Gender Equality beschäftigen. Insgesamt denke ich aber, dass wir uns langsam und Schritt für Schritt weiterbewegen.
Ich setze ehrlich gesagt viel Hoffnung auf die IT-Branche, die in Zukunft eine noch wichtigere Rolle spielen wird. In meinen Interviews erlebe ich, dass Berufsgruppen wie Programmierern deutlich flexiblere Rahmenbedingungen angeboten werden. Ich wünsche mir, dass das auch auf andere Branchen „überschwappt“. Wie siehst du das?
Ich arbeite in der IT-Branche und lerne da viele traditionelle Industriebetriebe kennen. Ich bin auch im Marketingclub Österreich als Beirätin für Industriemarketing tätig. Die Strukturen in klassischen Betrieben sind historisch gewachsen eher starr, aber ich merke auch da, dass sich etwas bewegt. Für das Industriemagazin habe ich einmal zehn innovative Frauen aus der Industrie recherchiert. Das war zuerst eine Challenge, aber es gibt diese Frauen! Sie sind nur wenig sichtbar. Das gleiche gilt für die IT-Branche: Es gibt zwar viele Frauen, aber oftmals arbeiten sie in nicht-technischen Rollen oder sie stehen erst in der zweiten Reihe. Da müssen wir sie rausholen und als Role Models sichtbar machen. Grundsätzlich bin ich überzeugt, dass die IT ein sehr gutes Berufsfeld für Frauen ist. Die Arbeitszeiten und -bedingungen sind flexibler, Home Office ist keine Verhandlungssache, das Gehalt ist attraktiver als in typischen Frauenberufen, usw. Allerdings gibt es auch in der IT noch Luft nach oben. Potenzial sehe ich vor allem darin, dass Frauen, die für die IT angeworben werden, dann im Unternehmen auch Strukturen vorfinden, mit denen sie sich wohlfühlen. Gerade, wenn es wenige Frauen im Unternehmen gibt, könnten Mentoring oder der Aufbau eines unterstützenden Netzwerks hilfreich sein. Ein anderes wichtiges Thema ist die Nachwuchsförderung.
Darf ich auf dein Privatleben zurückkommen? Du hast erzählt, dass du bei deiner Tochter viel Wert auf eine empowernde Erziehung legst. Mir ist das auch bei meinen Mädls extrem wichtig. Kannst du darauf eingehen, was du ihr mitzugeben versuchst?
Ja gern. Das beginnt schon damit, dass Mädchen oft dafür gelobt werden, dass sie hübsch aussehen. Daran stört mich, dass Mädchen selten Lob für etwas bekommen, das sie gut können, sondern für ihr Äußeres. Buben hören dagegen „Wow, du kannst gut klettern“ oder „Super, was hast du da Cooles gebaut“. Das macht einen Unterschied. Ich finde, dass bereits Kindergartenpädagog*innen sensibilisiert werden sollten, um Kindern die gleichen Werte mitzugeben und genderneutrale Bilder zu malen. Mit der Direktorin des Kindergartens, in den meine Tochter geht, habe ich dazu bereits ein Gespräch gesucht und damit offene Türen eingerannt. Es gab z. B. ein Kind in der Gruppe, das sich nicht der „Norm“ entsprechend kleiden wollte. Für alle anderen Kinder war das kurz spannend, dann aber kein Thema mehr. Für einige Eltern war es hingegen Grund genug, sich darüber zu beschweren.
Ja, das kann ich mir vorstellen. Gerade darum finde ich es auch so wichtig, dass bereits kleinen Kindern alle Schubladen geöffnet und die Vielfalt an Möglichkeiten aufgezeigt werden. Alle Eltern zu erreichen und zementierte Strukturen aufzuweichen, ist schwierig – in Kindergärten und Schulen sehe ich allerdings eine gute Möglichkeit, um wirklich „an der Basis“ zu rütteln. Eine Frage würde ich dir gern noch stellen, weil das Thema in einem meiner vergangenen Interviews im Mittelpunkt stand. Du bist alleinerziehend – hast du dir Gedanken gemacht, wie das deine Rolle im Beruf beeinflusst und wie du dich aufstellst?
Ich bin seit etwa einem Jahr alleinerziehend und ich glaube, dass mir diese Veränderung einen Push gegeben hat. Ein wichtiger Punkt ist, dass ich aktiv nach Unterstützung frage, ich habe einfach kein 50:50 mehr. Ich denke außerdem, dass es wichtig ist, den eigenen Wert zu kennen und ihn auch zu kommunizieren. Mein Arbeitsumfeld weiß z. B., dass ich Abendtermine rechtzeitig wissen muss, um die Betreuung für meine Tochter zu organisieren. Es kommt außerdem vor, dass ich meine Tochter zu Terminen mitbringe. Erst vor kurzem war ich mit ihr auf einer Konferenz, weil ich den Vortrag eines Kollegen hören wollte. Da gibt es zwar immer einige verwirrte Blicke, aber viele Arbeitnehmer*innen haben nun mal auch eine Elternrolle. Das wird meiner Erfahrung nach oft ausgeblendet. Dabei bringe ich als Mama so viele Qualitäten mit, die genauso im Berufsleben wertvoll sind: Ich habe ein unglaubliches Zeitmanagement und bin extrem lösungsorientiert. Diese Skills bringe ich als Arbeitnehmerin in meinen Beruf mit ein.
Frauen in die Technik bringen – oder sie erfolgreich davon abbringen?
Kristina Maria hat mir erzählt, dass die meisten Buben und Mädchen bis zu einem Alter von 11 Jahren in etwa die gleiche Begeisterung für Technologie mitbringen. Bei Mädchen nimmt diese dann kontinuierlich ab und erreicht mit 15/16 ihren Tiefpunkt. Gerade in dieser Zeit werden Entscheidungen für die Berufswahl und weitere Ausbildung getroffen. Die paar Frauen, die sich dennoch für ein technisches Studium entscheiden, klagen dann häufig über frauenfeindliche Strukturen. Auch das belegen eine Reihe von Studien. Es gibt folgend sehr hohe Drop-Out-Raten.
Warum die Farbe Rosa einst Männersache war.
Auch das hat Kristina Maria mir verraten. Habt ihr gewusst, dass Rosa bis vor knapp hundert Jahren ausschließlich Jungen vorbehalten war?
Gender Modesty Norms
Der Begriff war neu für mich. Es geht darum, dass Frauen viel bescheidener mit ihren Erfolgen umgehen als Männer, weil sie das in ihrer Sozialisation so vermittelt bekommen. Dazu gibt es einiges an Studien und Literatur, z. B.
Und immer wieder… Frauenbewegungen!
Es gab in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Frauenbewegungen, die wichtige Veränderungen erkämpft haben. Genauso regelmäßig gab es Entscheidungen, die die Rechte von Frauen wieder zurückgedrängt haben. Ich habe die Hoffnungen, dass die Veränderungen diesmal nachhaltiger sind, weil Themen wie Gender Equality und Diversity mit Nachhaltigkeit verknüpft sind. Welche Meinung habt ihr dazu?