Ernst (52) ist Initiator des „22butterfly Corporate Karisma Festivals“, das am 12. und 13. Mai in Linz stattfand. Im Zentrum stand die Frage, wie Unternehmen ihrer Kultur mehr Leben einhauchen. Dazu gab es eine Reihe von sehr vielfältigen und bunten Impulsen. Mehrmals bin ich mit dem Wort „Diversität“ in Berührung gekommen, weshalb ich Ernst zu einem Interview eingeladen habe. In vielen meiner bisherigen Gespräche ist mir eine starke Verbindung der Themen New Work, soziale und ökologische Nachhaltigkeit und Diversity aufgefallen.
Ernst, vielen lieben Dank für deine Zeit. Welche Berührungspunkte hast du selbst zum Thema Diversity auf einer privaten und/oder beruflichen Ebene?
Ernst: Ich denke, dass sich meine persönliche und meine berufliche Perspektive nicht maßgeblich unterscheiden. Ich bin in einem beruflichen Feld tätig, in dem ich sehr selbstbestimmt handeln kann, darum verschränken sich meine Biographie, meine bisherigen Berufserfahrungen, meine privaten Antriebsfedern und meine Leidenschaft für Kultur. Als mehrfacher Papa wünsche ich mir eine lebenswertere Form von Zukunft, an der wir jetzt noch mitgestalten können. Wenn ich meine Perspektive als naiver Träumer einnehme, dann wünsche ich mir eine Welt, wo alle Menschen in einem gut verteilten Wohlstand miteinander leben – unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrem Geschlecht, ihrer Religion und ihrer Herkunft. Davon sind wir wohl zumindest 1000 Jahre entfernt. Aus aktueller Sicht wäre es vielleicht schon ein Gewinn, wenn wir eine amerikanische und eine russische Präsidentin hätten. Ich vermute, dass dann viele Dinge anders laufen würden, die uns heute ganz konkret Angst machen.
Danke für diese Gedanken, ich bin da ganz bei dir. Magst du näher darauf eingehen, wie wir uns deiner idealen Weltvorstellung nähern könnten?
Unser Wirtschaftsleben ist geprägt von Wettbewerb, das konnotiert natürlich hochmaskulin und ist historisch verknüpft mit den Stärken eines Mannes, der sich dem Wettkampf stellt und gewinnt. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass die Erfolgsgeschichte der Menschheit eher in der Kooperation als im Wettbewerb liegt. Meiner Meinung nach würde vieles besser laufen, wenn wir versuchen würden, uns gegenseitig zu ergänzen. Die Qualität des Wettbewerbs sehe ich darin, Kreativität und Innovation zu fördern, Produkte und Services zu kreieren und zu verbessern. Wir müssen aber aus dem reinen Wettbewerb heraus und in eine stärkere Kollaboration finden, uns gegenseitig stärken und nicht schwächen. Das braucht auf der einen Seite einen Paradigmenwechsel und andererseits einen Systemwandel.
Was du auf jeden Fall gewandelt hast, ist mein Blick auf einen Workshop mit Fokus Unternehmenskultur. Ich habe das 22butterfly-Festival sehr bunt, kurz getaktet und vielfältig erlebt. Ihr habt eine enorme Bandbreite an Themen geboten und unzählige Impulse geliefert. Ich fand es sehr schön, dass Diversity in diesem Rahmen mitgedacht wurde. Kannst du mir erzählen, was euch zu diesem Festival motiviert hat?
Das Festival drehte sich in erster Linie um Unternehmenskultur und darum, wie diese an Irrationalem gewinnen kann, wie diese ausgestaltet sein kann, um in einem humanistischen Sinn „schön“ zu sein und nicht nur wirtschaftlichen Benefit zu erzielen. Ich beschäftige mich seit etwa zwei Jahren intensiv mit diesem Thema. Das kam daher, dass ich viele Jahre in der Digitalwirtschaft beraten habe und dort immer wieder beobachten konnte, wie stark der Erfolg von Digitalisierungsvorhaben vom Mindset der Organisation abhing. „Culture eats strategy for breakfast“ – das habe ich wirklich einige Male erlebt. Und ist dies nur eine Frage von Strukturen oder braucht es eine ganzheitlichere Sicht auf Corporate Culture? Gemeinsam mit „Die Fabrikanten“ habe ich diese Gedanken weitergetrieben und überlegt, welche Ansätze heute fehlen.
Zu welchem Lösungsvorschlag seid ihr gekommen? Wie kann die Kultur einer Organisation in ihrer vollen Wirkung und Tragweite gesehen werden?
Auf der einen Seite steht der Zugang seitens Organisationsentwicklung mit einem stark sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Hintergrund. Der Fokus liegt hier auf Restrukturierung, Change Management und Leadership. Dazu gibt es Literatur, Workshops und dergleichen. Doch muss Kultur – und da zähle ich Diversität dazu – auch sichtbar, spürbar und erlebbar gemacht werden. Zur Selbstvergewisserung wie auch als Signal nach außen – auf einer im weitesten Sinn ästhetischen Ebene, die nur eines nicht sein sollte: oberflächlich sein. Dazu braucht es Kulturarbeiter*innen, die entsprechende Beiträge liefern, an denen sich eine Organisation reflektieren und aufrichten kann. Entlang kooperativer, kreativer Prozesse können vielfältigste Erfahrungen gesammelt werden. Wir kamen also zu dem Punkt, dass wir dieses Spannungsfeld mit einem Format aufgreifen wollen, das die Kreativwirtschaft mit der Organisationsberatung stärker zusammenführt, um an einem gemeinsamen Strang zu ziehen. Wir sind der Überzeugung, dass wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Erfolg mittel- bzw. langfristig nur möglich ist, wenn ein Mensch in einer Organisation Mensch sein darf. So sehen wir auch Diversity als wesentlichen Bestandteil unseres Themenfelds.
Ich muss zugeben, dass ich während des Festivals viele Male begeistert war und einige Male nach einer Brücke zwischen den Impulsen und der Realität gesucht habe. Wie erlebst du Oberösterreich in Bezug auf die Themen, die ihr beim Festival aufgegriffen habt?
Ich habe im Laufe meiner beruflichen Stationen viele oberösterreichische Betriebe kennengelernt. Grundsätzlich habe ich das Gefühl, dass die Unternehmen sehr zukunfts- und weltmarktorientiert sind, über die Ländergrenzen blicken und einen hohen Anspruch an ein gutes Betriebsklima haben. In meiner Wahrnehmung sind eigentümergeführte Unternehmen dabei anders aufgestellt als börsennotierte Betriebe oder Töchter von internationalen Konzernen – es sind oftmals einzelne Personen, die die Unternehmenskultur vorgeben und sehr ambitioniert formen. Teilweise passiert das natürlich aus einem patriarchalen Muster heraus, aber dies meist wohlwollend gemeint. Eine Herausforderung, der wir uns in Österreich stellen müssen, ist das stückweise Loslassen. Wir müssen vor allem das „Vertrauen-ist-gut-Kontrolle-ist-besser“-Denken abbauen, damit Betriebe funktionieren können. Viele Konventionen des Managements, die über lange Jahre Erfolg gebracht haben, sollten an die veränderten Rahmenbedingungen adaptiert werden.
Wie würdest du das aktuelle Umfeld für Unternehmen beschreiben? Auf welche Veränderungen müssen sich Organisationen einstellen, damit sie mithalten können?
Die Rahmenbedingungen sind unüberschaubarer und schwerer kalkulierbar geworden. Das Tempo hat enorm zugenommen. Und eine globale Entschleunigung ist auch nicht absehbar. So drängen dann auch die Fragestellungen in Bezug auf Digitalisierung, Energiewende, gerechtere Verteilung des Wohlstands, Rohstoffe, Politkatastrophen, klimabedingte Veränderungen, Biodiversität und vieles mehr. Unser Optimismus kommt uns abhanden und gleichzeitig ist es ein enorm großes Thema, dass wir sehr erfolgsverwöhnt sind. Unser Bestreben geht dahin, dass wir absichern, was wir haben. Vielleicht müssen wir auch lernen, zu verlieren. Das hat Tim Leberecht, der auch bei 22butterfly zu Wort kam, in seinem Buch „Gegen die Diktatur der Gewinner“ ausgeführt. Angesichts dieser Herausforderungen sollten Organisationen nicht den Mut verlieren, dem Gesetz des Handelns folgen und agieren, anstatt zu reagieren. Wer Risikos eingeht und neue Wege beschreitet, hat letztlich auch die besseren Chancen, zu überleben.
Hier komme ich gern nochmal auf das Thema Diversity zurück. Welchen Beitrag kann Diversität deiner Meinung nach leisten, um die Risikobereitschaft einer Organisation zu erhöhen?
Ich denke, dass Unterschiedlichkeiten zu mehr Kreativität führen. Diverse Gruppen sind kreativer als Gruppen, in denen Menschen mit sehr ähnlichen Werten, ähnlichen persönlichen Backgrounds, womöglich auch noch von der gleichen Uni kommend miteinander arbeiten. Wir sollten die Chancen ergreifen, die daraus resultieren, dass wir Denk- und Empathiemodelle anderer Kulturkreise übernehmen können oder dass wir mit Männern und Frauen oder auch mit unterschiedlichen Altersgruppen besetzen. Dass wir top motivierte und qualifizierte Menschen mit 65 Jahren in die Rente schicken, damit sie dann im Kaffeehaus bei einer Kardinalschnitte sitzen, finde ich eine absolute Verschwendung. Natürlich soll in diesem Alter niemand mehr 40 Stunden arbeiten müssen, aber bei einem Engagement als Sparringpartner*in würden sich für alle Seiten Vorteile ergeben. Auf der anderen Seite sollten junge Arbeitnehmer*innen nicht erst dann zum Zug kommen, wenn sie sich ihre Sporen verdient und dabei aber schon ihre Ecken und Kanten eingebüßt haben. Ich bin überzeugt, dass rein das Aufeinandertreffen vieler unterschiedlicher Blickwinkel für sich schon eine kreative und innovative Qualität mit sich bringt.
22butterfly Corporate Karisma Festival
Unter diesem Link findet ihr das Programm, die Vortragenden und viele wertvolle Inputs. Ich freu mich, wenn es kommendes Jahr wieder ein Festival im Linzer Posthof gibt.
Buchtipp “Gegen die Diktatur der Gewinner“ von Tim Leberecht
Tim Leberecht, scharfsinniger Vordenker für einen neuen Humanismus in Wirtschaft und Gesellschaft, prophezeit: In Zeiten der Digitalisierung und der ständigen Optimierung müssen wir neu lernen, mit Niederlagen umzugehen. Verlieren wird sogar zur unerlässlichen Kernkompetenz. Welche Arten des Verlierens es gibt und wie wir gut damit zurechtkommen, verrät er in diesem leidenschaftlichen, gesellschaftskritischen Aufruf zu mehr Menschlichkeit. https://www.thalia.at/shop/home/artikeldetails/A1056669978
Weitere Informationen zum Autor findet ihr unter:
http://timleberecht.de/
cucocu.com - curating corporate culture
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