Hermann (45) ist Mitbegründer der Plattform SHEconomy, die vor Kurzem die Initiative WEconomy für mehr Diversität in der österreichischen Wirtschaft gestartet hat. Ich nehme ihn als starken „Male Ally“ wahr, als Verbündeten, der für die Interessen von Frauen und anderen unterrepräsentierten Gruppen einsteht. Mehr als Grund genug, um seine Perspektive in einem Interview einzufangen. 

 

Hermann, eure Plattform SHEconomy trägt den Slogan „Die neuen Seiten der Wirtschaft“. Ihr holt weibliche Role Models vor den Vorhang und arbeitet intensiv mit Unternehmen zusammen. Verrätst du uns, mit welchen Argumenten du versuchst, den Entscheidungsträger*innen klar zu machen, dass der richtige Zeitpunkt für weibliche Führungskräfte genau jetzt ist?

Hermann: Die Grundvoraussetzung ist, dass das Top Management eines Unternehmens das Thema überhaupt wahrnimmt. Wenn die Argumente für Frauen in Führungspositionen dann auf den Tisch kommen, gibt es keine plausible Gegenargumentation mehr. Ich bringe gern folgende zwei Beispiele in die Diskussion ein: David Solomon, der CEO von Goldman Sachs, hat beim Wirtschaftsforum 2020 präsentiert, dass nur mehr die Unternehmen beim Börsengang begleitet werden, in deren Management sich mindestens eine Frau oder ein Mitglied einer anderen traditionell unterrepräsentierten Gruppe befindet. Der Grund dafür ist nicht, dass Solomon ein Philanthrop ist – im Gegenteil: Die Zahlen zeigen, dass diese Unternehmen einen höheren Return on Investment haben und in Krisenzeiten flexibler auf Veränderungen reagieren können.

 

Es gibt einige dieser Leuchtturmunternehmen. Wann meinst du, wird die große Masse der Unternehmen folgen? Was braucht es, damit aus den Leuchttürmen Standards werden?

Es wird in den kommenden Jahren auf jeden Fall viel mehr externer Druck auf Unternehmen zukommen, die Diversität und Gender Equality nicht ernst nehmen. Das fängt bei Finanzierungen an und geht in vielschichtige Ebenen der Zusammenarbeit mit anderen Firmen hinein. Ich bin überzeugt, dass Unternehmen, die die sozialen Initiativen im Rahmen der ESG-Ziele vernachlässigen, deutliche Wettbewerbsnachteile haben werden. Der Fachkräftemangel und die Verschiebung hin zu einem Arbeitnehmer*innenmarkt werden diese Entwicklung zusätzlich anfeuern. Arbeitgeber*innen müssen sich ganz anders positionieren als noch vor Kurzem. Daher wollen wir mit der Plattform WEconomy Impulse setzen, um mehr und mehr Unternehmen davon zu überzeugen, dass Diversity ein absoluter Wettbewerbsvorteil ist.

 

Du hast die ESG-Ziele angesprochen. Dabei werden zur Bewertung eines Unternehmens nicht nur ökonomische Kriterien herangezogen, sondern auch der Bereich Nachhaltigkeit (Environment), die Auswirkungen auf die Gesellschaft (Social) und die Unternehmensführung (Corporate Governance) analysiert. Wie stark zahlen diese Bereiche deiner Meinung nach aufeinander ein? 

Ich denke auf jeden Fall, dass diese Bereiche stark miteinander verbunden sind. Trotzdem finde ich es wichtig, die Themenfelder separiert zu betrachten, sie dann zu einer Strategie zusammenzufassen und immer abgestimmt aufeinander zu verfolgen. Bei unseren Veranstaltungen sehen wir deutlich, dass die Themen Nachhaltigkeit, Diversität, usw. sehr stark von Frauen getrieben werden. Ich gehe davon aus, dass die ESG-Ziele stärker im Unternehmen verankert sind, wenn es ein diverses Führungsteam gibt bzw. Diversity über alle Unternehmensebenen ausgerollt ist. Unterschiedliche Blickwinkel ermöglichen eine breitere Auseinandersetzung mit den ESG-Zielen.

 

Was ich sehr an euren Plattformen schätze, ist das Teilen von Erfahrungen und Wissen. Ihr holt Unternehmen vor den Vorhang, die ihre Erfahrungen und Best-Practice-Beispiele präsentieren. Da gibt es keinen Wettkampf, kein gegenseitiges Ausstechen, sondern echten Austausch. Kannst du mit uns teilen, welche Erfahrungen Unternehmen in der Praxis machen, wenn sie sich mit Diversity auseinandersetzen? Gibt es absolute K.-O.-Kriterien?

Wir haben mittlerweile Partnerschaften mit über 100 Unternehmen und ein wirklich starkes Netzwerk. Das wichtigste Kriterium überhaupt ist, dass jemand aus dem Vorstand bzw. aus der obersten Managementebene das Engagement mitträgt. Was wir oft sehen, sind Stabstellen, die zwar Sichtbarkeit erreichen, aber Einzelkämpferstatus behalten. Teilweise gibt es wirklich sehr aktive und motivierte Diversity Manager*innen, die viele großartige Ideen haben, aber mit sehr wenig Budget unterstützt werden. Da kann es zu keinem wirklichen Impact kommen. Diversity Management muss Vorstandspriorität haben, gut ins Unternehmen bzw. in die Strukturen verankert sein und eine starke Verbindung zu HR aufweisen. Weiters ist es wichtig, das Thema strategisch aufzusetzen und Ziele sowie Maßnahmen und Kennzahlen zu definieren. Mit einem Diversity Dashboard wird das Thema für das Top Management greifbar – das ist das Um und Auf. Mir ist außerdem extrem wichtig, dass Female Empowerment und Diversity nicht als reine Frauenthemen abgestempelt werden. Die ideale Besetzung im Diversity Management ist für mich daher ein Tandem mit einer Frau und einem Mann.

 

Welche Maßnahmen funktionieren gut, welche weniger? Wie können Unternehmen relativ kurzfristig in Diversity investieren? Hast du Empfehlungen für Quick Wins?

Generell ist das Thema Diversity weniger ein Sprint als ein Marathon. Aber natürlich gibt es Maßnahmen, die man schneller angehen kann, und welche, die erst langfristig Früchte tragen. Frauennetzwerke, in denen auch Männer mitwirken, sind meiner Erfahrung nach eine sehr gute Möglichkeit, um Gender Diversity relativ rasch auf breiter Basis voranzutreiben. Ich empfehle Unternehmen außerdem immer, sich mit dem Thema Quer- und Wiedereinsteiger*innen zu befassen. Da schlummert mit guten Upskilling-Angeboten in neue, technische und innovative Berufsfelder meiner Meinung nach enormes Potenzial. Eine weitere Empfehlung sind Lehrlinge, speziell das Modell Lehre mit Matura. Und dann gibt es große Hebel im Bereich Employer Branding, Karenzmodelle und Job bzw. Leadership Sharing. Als Basis braucht es auf jeden Fall eine Analyse der wichtigsten Daten und Fakten in Bezug auf Arbeitnehmer*innen, Teams und die Ebenen des Unternehmens. Beispiele von erfolgreichen Unternehmensinitiativen machen wir aktuell auf weconomy.media und unseren quartalsweisen Diversity Leaders Exchanges sichtbar.

 

Deine Leidenschaft für das Thema ist deutlich spürbar. Warum setzt du dich so intensiv für Gender Equality und Diversity ein? Was hat dich motiviert, SHEconomy mitzugründen?

Ich habe selbst drei Kinder, davon zwei Töchter, und ich wünsche mir, dass diese die gleichen Chancen und Möglichkeiten vorfinden. Weiters habe ich bei meiner eigenen Karenzzeit nicht gerade positive Erfahrungen gemacht. Ich habe damals vor acht Jahren in einem großen Unternehmen gemerkt, dass es oftmals nicht gerne gesehen wird. Als ich 2015 das Forbes Magazin nach Österreich gebracht habe, gab es darin einen Themenschwerpunkt zu Forbes Women. Als mir bewusst wurde, dass Gender Shift seit zehn Jahren zu den Megatrends gehört, aber in Österreich immer noch als „nice-to-have“ oder politische Korrektheit abgestempelt wird, wollte ich aktiv werden. Ich habe mich mit einigen Harvard-Leadership-Studien auseinandergesetzt, in denen die Führungskompetenzen der Zukunft beleuchtet wurden und wo Frauen immer sehr gut abschnitten. Jedes Jahr machen mehr Frauen als Männer einen Studienabschluss an einer FH oder Uni. Daher ist es mir wichtig, das Bewusstsein von Unternehmen dafür zu schärfen.

 

Du bist für mich die Blaupause eines Male Ally. Welchen Stellenwert haben deiner Meinung nach starke männliche Verbündete? 

Österreich rangiert im europäischen Diversity-Ranking auf dem vorletzten Platz. Da muss sich etwas bewegen – und nachdem die meisten Entscheidungspositionen von Männern besetzt sind, ist es wichtig, dass Männer Frauen und andere diskriminierte Gruppen unterstützen und fördern. Eine andersdenkende Person im Team bringt noch keine Vielfalt. Meine Erfahrungen gehen dahin, dass es eine gewisse „Schwungmasse“ braucht, damit andere Meinungen gesagt und gehört werden. Male Allyship ist eine Möglichkeit, um den Stimmen von unterrepräsentierten Gruppen Gehör zu verschaffen. 

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Diversity Leaders Exchange

Am 21.6. fand der 6. Diversity Leaders Exchange statt. Diese Veranstaltungsreihe von SHEconomy bzw. der Initiative WEconomy findet 4 mal jährlich statt. Die nächsten Termine sind am 13. September und am 7. Dezember jeweils von 16.00 bis 18.30 Uhr. Teilnahme auf Einladung. Bei Interesse: Hermann Sporrer, hermann.sporrer@businessconsult.or.at

https://sheconomy.media/events/sheconomy-diversity-leaders-exchange/

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9 Tipps für Male Allies

Wie können Männer gute Allies für weibliche Kolleginnen sein? Was kann jede*r einzelne dazu beitragen, für mehr Inklusion und Diversität am Arbeitsplatz zu sorgen? Dazu hat SHEconomy 9 Tipps gesammelt.

https://sheconomy.media/9-tipps-fuer-male-allies/

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Wo dockt Diversity an Home Office an?

Das Thema Home Office begleitet mich in den vergangenen Interviews immer wieder. Daher habe ich auch Hermann die Frage gestellt, inwieweit er bei Diversity auch an flexible Arbeitszeit- und Arbeitsortmodelle denkt:

„Das Vertrauen, dass die Mitarbeitenden selbst ihren Weg finden, um ihre Aufgaben zu erfüllen, ist Voraussetzung. Das bedeutet aber, dass Unternehmen sich von ihren Kontrollmechanismen verabschieden müssen. Führungskräfte müssen lernen, mit diesen neuen Arbeitsformen umzugehen. Ich denke nicht, dass Mitarbeiter*innen im Home Office ihre Verpflichtungen gegenüber dem Unternehmen weniger ernst nehmen. Im Gegenteil: Meiner Meinung nach müssen Rahmenbedingungen definiert werden, damit Mitarbeiter*innen zuhause nicht ausbrennen. Und es muss zusätzlich einen Korridor für jene geben, die mehr Struktur und Führung brauchen. Diese „neue“ Balance zu finden, ist eine große Herausforderung. Das sehe ich auch bei uns selbst: Wir arbeiten seit der Gründung vor mehr als drei Jahren komplett remote und ich sehe die Notwendigkeit, dass wir etwas mehr Struktur etablieren und uns z. B. zweimal jährlich zu ausgedehnten Team Meetings treffen.“