Anne (39) widmet sich seit Kurzem einer neuen beruflichen Herausforderung und verantwortet den Bereich Diversity & People Relations in einer großen Tech-Company. Im Interview haben wir natürlich diese Perspektive gestreift, dann aber unseren Fokus auf das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf gelenkt. Im Interview könnt ihr nachlesen, welche Möglichkeiten Anne bei Unternehmen sieht, um das Thema voranzutreiben. Wir haben außerdem darüber gesprochen, welche Gender Bias wir überwinden müssen, damit sich Frauen und Männer überhaupt gleichermaßen auf das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf einlassen können.

 

Anne, ich habe dich auf LinkedIn kontaktiert, weil ich mitbekommen habe, dass du eine neue berufliche Herausforderung angenommen hast, bei der sich alles um Diversity dreht. Kannst du beschreiben, was Diversität für dich bedeutet?

Anne: Diversity bedeutet für mich Vielfalt und bezogen auf mein berufliches Umfeld verbinde ich damit zwei Perspektiven. In meiner Festanstellung im Unternehmen verantworte ich mit sehr viel Herzblut und einem engagierten Team den Bereich Diversity & People Relations. Unser Anliegen ist, dass wir Vielfalt in der Belegschaft abbilden und die unterschiedlichen Gruppen gut integrieren. Dem anderen Kontext, in dem ich mich mit dem Thema auseinandersetze, liegen ein starkes Fairnessdenken und meine persönlichen Erfahrungen zugrunde: Ich unterstütze Eltern freiberuflich dabei, wie Elternschaft gleichberechtigt gestaltet werden kann. Dazu kommt noch meine private Perspektive als Mutter. Da hat mich das Thema an verschiedenen Stellen eingeholt und ich muss zugeben, ich dachte, dass wir z. B. im Denken unserer Geschlechterrollen schon weiter wären. Als ich vor meiner ersten Elternzeit ein Gespräch über die Rückkehr auf eine attraktive Position führte, empfahl mir der damalige Bereichsleiter (selbst Vater, Vollzeit berufstätig) wohlwollend, ich solle jetzt erstmal abwarten, wie das so in der Mutterrolle und mit Kindern sei.

 

Mich interessieren alle von dir genannten Perspektiven sehr. Darf ich dir zuerst eine Frage zu deiner Aufgabe im Unternehmen stellen: Was ist deiner Meinung nach besonders wichtig, wenn ein Unternehmen im Bereich Diversity, Equity und Inclusion aktiv werden möchte?

Grundsätzlich denke ich, dass die Auseinandersetzung mit Diversity sehr ernst genommen werden sollte. Ein Unternehmen trägt meiner Meinung nach eine gesellschaftliche Verantwortung und ist Teil unseres Systems. Für die Beschäftigung mit Diversity sind daher immer zwei Betrachtungsweisen wichtig. Auf der einen Seite geht es darum, die Zufriedenheit der Mitarbeitenden zu stärken und ein inklusives Umfeld zu schaffen. Wir überlegen gut, ob wir mit unserer HR-Arbeit alle Personengruppen ansprechen. Sind z. B. Angebote für nicht-deutschsprachige Kolleg*innen auch auf Englisch verfügbar. Auf der anderen Seite gibt die Betrachtung der Diversitätsdimensionen viele Anhaltspunkte für die Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen im Business. Wir achten zunehmend darauf, dass wir unsere Teams möglichst divers besetzen und unterschiedliche Perspektiven zusammenbringen. Damit verfolgen wir als Unternehmen ganz klar das Ziel, unsere Produkte und Services so aufzubauen, dass wir der Vielfalt unserer Kund*innen gerecht werden. Ich kann mir z. B. die Frage stellen, ob diese möglichst barrierefrei und damit etwa für blinde Menschen zugänglich sind.

 

Du hast deine Berührungspunkte im privaten Umfeld angesprochen. Magst du näher darauf eingehen, in welchen Situationen dich das Thema Diversity einholt?

Ich merke, dass mich das Thema in sehr unterschiedlichen Situationen erreicht. Und auch hier gibt es wieder zwei Sichtwinkel. Einer bezieht sich auf das Aufwachsen meiner Kinder, der zweite auf mich als berufstägige Mutter. In der Erziehung meiner Kinder überrascht mich das starre „Schubladendenken“ immer wieder: Das darf ein Mädchen nicht, das muss ein Junge gern machen, usw. Als Mutter habe ich mir außerdem oft die Frage gestellt, wie ich einer Karriere nachgehen kann. Darum setze ich mich sowohl beruflich als auch privat stark mit der Gestaltung einer guten Vereinbarkeit von Familie und Beruf auseinander. Wir haben z. B. kürzlich im Unternehmen eine Umfrage gestartet, welche Haupthandlungsfelder unsere Mitarbeitenden für unsere Diversity-Arbeit sehen. Ganz weit vorn landeten die Themen Gender Equality und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ein Hauptschlüssel, um dies zu erreichen, liegt für mich darin, dass mehr Männer Verantwortung für Care-Arbeit übernehmen und sich etwa Eltern so aufteilen, dass auch einmal nur die Frau oder eben beide einer Karriere nachgehen können.

 

In meiner Wahrnehmung und auch für mich persönlich ist das ebenfalls ein sehr wichtiger Aspekt. Welche Möglichkeiten haben Unternehmen deiner Erfahrung nach, um das Thema Vereinbarkeit gut abzubilden?

Ein sehr wesentlicher Punkt ist die Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort, auch wenn das eine gewisse Komplexität mit sich bringt. Hier spielt insbesondere die Unternehmenskultur eine wichtige Rolle: Wenn ich z. B. darüber nachdenke, Führen in Teilzeit einzuführen und dann feststelle, dass Meetings oft am späten Nachmittag stattfinden, oder dennoch vorausgesetzt wird, dass die Mitarbeitenden außerhalb ihrer vereinbarten Arbeitszeiten zur Verfügung stehen, dann laufe ich Gefahr, dass die ersten, die das ausprobieren, scheitern werden und frustriert sind. Ich denke, dass es unmöglich ist, diesen Hebel von einem Tag auf den anderen umzulegen. Damit Führen in Teilzeit wirklich gut von Frauen und Männern (!) gelebt werden kann, ist eine inklusive, gesunde Unternehmenskultur notwendig. Wir müssen alle lernen, mehr darüber zu sprechen, wie uns Vereinbarkeit gelingen kann, statt die Herausforderung von Care-Arbeit im Job auszublenden. Ich sehe großes Potenzial in der Bewusstseinsbildung über Aktionstage, Veranstaltungen und Workshops. Wir holen etwa Role Models im Unternehmen vor den Vorhang – Väter, die in Teilzeit arbeiten oder Mütter in Führungspositionen. Am deutschen Diversity-Tag gab es bei uns im Unternehmen zum zweiten Mal die Diversity Days – eine interne Konferenz zum Thema Vielfalt von Mitarbeitenden für Mitarbeitende, die von fast 1000 Teilnehmenden besucht wurde. Ein anderes Beispiel: Unser internes Frauennetzwerk hat regelmäßige „Gender Talk Shows“ initiiert. Damit versuchen wir, den Dialog im Unternehmen zu fördern, damit kontroverse Themen in einem offenen, moderierten Format diskutiert werden können. Zusätzlich bieten wir Maßnahmen wie einen Familienservice, der z. B. für Notsituationen eine Betreuung organisiert.

 

Du hast vorhin unbewusste Denkmuster und Schubladen erwähnt. Welche Rolle spielen diese Unconscious Bias deiner Meinung nach beim Thema Vereinbarkeit? Gibt es zusätzlich zu den Rahmenbedingungen, die Unternehmen schaffen können, Hebel für eine Gleichstellung beim Thema Vereinbarkeit?

Ja, die gibt es auf jeden Fall. Studien bestätigen, dass wir alle Gender Bias haben und dadurch Frauen und Männer unterschiedlich wahrnehmen. Männer und Frauen werden auch für unterschiedliche Dinge gefeiert. Mir wurde durch die Auseinandersetzung bewusst, wie verwurzelt dieses Thema in uns ist und wie viel Raum diese unbewusste Komponente in unserem Alltag einnimmt. Ich beobachte, dass sich beide Geschlechter nicht zu weit über ihre Rollenbilder hinauswagen dürfen, um gesellschaftlich akzeptiert zu werden. Bei Frauen fällt mir auf, dass es zwar erfolgreiche Vorständinnen gibt, diese aber schnell als unsympathisch gesehen oder mit Vorurteilen wie „Die fährt ja genauso die Ellenbogen aus“ abgestempelt werden. Ein Mann, der sich als engagierter Vater präsentiert, muss dabei immer noch engagiert eine Karriere verfolgen oder sich anderweitig als „typischer Mann“ präsentieren. Meiner Wahrnehmung nach stecken Männer und Frauen in diesem Dilemma. Es braucht noch sehr viel Veränderung, um einen Status zu erreichen, wo Frauen und Männer frei von gesellschaftlichen Zuschreibungen und Erwartungen ihre Wege gehen können. Die gute Nachricht ist: Veränderung ist möglich, insbesondere durch Dialog und Reflektion.

 

In diesem Spannungsfeld arbeitest du auch freiberuflich, wenn ich das richtig verstanden habe. Magst du einige Erfahrungen daraus teilen?

Ich biete mit meiner „Potenzialwerkstatt“ nicht nur Teamentwicklungen und Elterncoachings, sondern auch Gender-Bias-Workshops an, u. a. für Erzieher*innen in Ausbildung oder pädagogische Fachkräfte in der Jugendarbeit. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es dabei in jeder Gruppe Personen gibt, die sich bereits mit dem Thema Diversity auseinandergesetzt haben oder sehr interessiert sind. Es gibt aber auch immer ein paar mit einer großen Grundskepsis. Was mir auffällt: Die Diskussion ist nie einfach, weil Diversityaspekte und speziell Stereotype rund ums Geschlecht ein sehr persönliches Thema sind, das uns alle betrifft. Ich stelle z. B. gern die Reflexionsfrage, ob Gender Bias bei der Wahl des eigenen Berufs eine Rolle gespielt haben: Immer noch sind es überwiegend Frauen, die im Care-Bereich arbeiten. Was mir enorm wichtig ist, dass ich Lehrkräften oder Betreuenden mitgeben kann, ist die aufmerksame Begleitung und Förderung. Perspektiven abseits von Geschlechterklischees aufzuzeigen, individuelle Talente zu sehen und zu entwickeln, sind super wichtige Ansatzpunkte in der Erziehung unserer Kinder. Gerade in der Jugendarbeit spielt auch die kulturelle Komponente eine große Rolle: Wo müssen z. B. Angebote nur für Mädchen gesetzt werden, weil diese sonst aus religiösen Gründen komplett ausgeschlossen werden. Hier eine Sensibilität zu entwickeln und mit kreativen Ansätzen möglichst integrativ zu arbeiten, finde ich wichtig.

 

Verrätst du mir, worauf du in der Erziehung deiner Kinder Wert legst?

Mir ist natürlich klar, dass jedes Kind immer Prägungen ausgesetzt ist, wir bewegen uns in keinem luftleeren Raum. Ich achte allerdings sehr darauf, dass so viel „Original“ dabei ist wie nur möglich. Mir geht es darum, zu erkennen, wo die individuellen Stärken und Potenziale liegen. Ich versuche, meinen Kindern möglichst viele Perspektiven aufzuzeigen, und mit ihnen gemeinsam zu reflektieren. Wenn meine Tochter z. B. den Pulli mit dem Dino drauf nicht anzieht, weil der nur für Jungs sein soll, dann hinterfrage ich das mit ihr gemeinsam. Ich wünsche mir, dass meinen Kindern die Welt offensteht und dass wir Großen uns dafür einsetzen, die Welt in diesem Sinne zu gestalten.

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Brandneu: Anne hat ein Buch mit dem spannenden Titel "Elternratgeber Mental Load für Dummies" herausgebracht!

Heute ein Geburtstagsgeschenk kaufen, morgen an den Turnbeutel denken und wann war doch gleich der Anmeldetermin für den Schwimmkurs? All diese To-dos im Kopf zu jonglieren kann zu einer psychischen Belastung werden, besonders, wenn sie hauptsächlich von einem Elternteil getragen wird. Anne Keck zeigt Ihnen, wie Sie dieser mentalen Falle entkommen und die Last rund um Familie und Job fair auf beide Elternteile verteilen. Zahlreiche Tipps, Tools und Checklisten helfen Ihnen dabei, die Bedürfnisse aller Familienmitglieder unter einen Hut zu bekommen. 

Elternratgeber Mental Load für Dummies von Anne Keck – Buch | Thalia

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Beispiel für Gender Bias: Wie geht es euch damit?

Frau sagt: „Ich gehe sechs Monate in Elternzeit.“ Reaktion: „Das ist aber kurz, gibst du dein Kind dann schon weg?“

Mann sagt: „Ich gehe sechs Monate in Elternzeit.“ Reaktion: „Das ist aber lang, wer übernimmt deinen Job?“ 

Kennt ihr Role Models für Frauen in Führungspositionen und Männer in Elternzeit?