Melanies (42) große Leidenschaft ist es, Menschen mit Achtsamkeit vertraut zu machen. „Ich weiß aus Erfahrung, dass wir uns nicht immer aussuchen können, welche Ups und Downs das Leben uns bringt. Aber wir können wählen, wie wir dem, was geschieht, begegnen möchten. Achtsamkeit und Selbstmitgefühl unterstützen uns dabei als kostbare Ressourcen“, schreibt sie auf ihrer Website. Welche Rolle Achtsamkeit und Selbstmitgefühl in der Auseinandersetzung mit Diversität spielen, haben wir im Interview thematisiert.

 

Melanie, wir kennen uns über LinkedIn und ich freu mich sehr, dass wir heute miteinander sprechen können. Welche Berührungspunkte hast du zum Thema Diversity?

Melanie: Meine Berührungspunkte mit dem Thema bewegen sich auf mehreren Ebenen und ich beschäftige mich schon sehr lange damit. Zum einen betrifft mich die Genderthematik auf persönlicher Ebene als Frau. Zum anderen ist es mir ein Anliegen, dass alle Menschen Anteil nehmen können und sich integriert und zugehörig fühlen. Als Achtsamkeitslehrerin lege ich großen Wert auf Mitgefühl. Aber auch in meine beruflichen Tätigkeitsfelder spielt Diversity stark hinein. In meiner Arbeit als Organisationsberaterin sehe ich, dass uns das Thema mehr und mehr begegnet – z. B. im Hinblick auf Gender Balance, auf die Inklusion unterrepräsentierter Gruppen oder auf die Spannungen zwischen unterschiedlichen Generationen.

 

Ich würde gerne das Stichwort „Mitgefühl“ aufgreifen. Ich denke, dass die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen und hineinzufühlen, zentral für die Auseinandersetzung mit Diversität ist. Kannst du näher darauf eingehen, was du mit Mitgefühl verbindest?

Zunächst geht es mir in meiner Arbeit um das Kultivieren von Selbstmitgefühl. Es beginnt immer zuerst bei mir selbst, bei der Selbstreflexion. In einem ersten Schritt leite ich daher Menschen dazu an, sich mit ihren gedanklichen Mustern, Ängsten und Unsicherheiten auseinanderzusetzen. Ich unterstütze sie dabei, zu lernen, mit sich selbst freundlicher umzugehen. Bedenken, dass man dann zu egoistisch wird, kann ich gut zerstreuen: Studien belegen, dass die freundliche Auseinandersetzung mit uns selbst nicht zu mehr Egozentrik führt, sondern die Basis dafür bildet, auch für andere Menschen mehr Empathie und Mitgefühl zu empfinden. Die Kapazität, auch auf andere freundlich, offen und neugierig zuzugehen, steigt. Dann erst entsteht ein Raum, in dem die Schutzschilder abgelegt werden und jede*r sich zeigen kann. Ich wünsche mir viel mehr Räume, in denen wir so sein können, wie wir sind. Ich glaube, davon würden wir alle persönlich, aber auch insgesamt als Gesellschaft profitieren.

 

Da bin ich voll deiner Meinung. Ist deiner Meinung nach jeder Mensch in der Lage, empathisch und mitfühlend zu sein? Kann das auch geübt werden?

Selbstmitgefühl ist auf jeden Fall etwas, das gelernt und kultiviert werden kann und sollte. Wenn ich dann meine eigenen Unsicherheiten und Ängste besser erkennen und regulieren kann, dann bin ich auch dazu in der Lage, offener auf andere zuzugehen. Ein Beispel: Es ist vollkommen legitim, dem Gegenüber mitzuteilen, wenn ich Berührungsängste habe, indem ich etwa sage „Ich würde dich gern kennenlernen, dich gern fragen, wo ich dich unterstützen kann, aber ich fühle mich unsicher“. Das schafft eine Basis für ein Gespräch. Etwas, das ich dazu noch gern ansprechen möchte, ist „Empathie-Müdigkeit“. Vor allem Menschen in helfenden Berufen bzw. in Sozialberufen können an einen Punkt kommen, wo sie sich ein Stück weit von ihrer Empathie abspalten müssen, weil es sie erschöpft, mit allen in ihrem Umfeld mitzufühlen. Studien zeigen, dass hier Achtsamkeitstraining eine gute Möglichkeit ist, um ein Gegengewicht zu schaffen. Es gibt dazu dieses einprägsame Bild in einem tollen Gedicht von Bernhard von Clairvaux: Jede*r soll zuerst die eigene Schale vollmachen und nur das weitergeben, was überfließt. Wer sich immer wieder völlig verausgabt für andere, der wird irgendwann nichts mehr zu geben haben und ausbrennen.

 

Auf LinkedIn habe ich dein Angebot für „mindful lunchbreaks“ entdeckt und mich gefragt, in wie weit Achtsamkeit eine Möglichkeit sein kann, um dem Konfliktpotenzial diverser Teams zu begegnen und aus der Vielfalt an Meinungen zu einer besseren Lösung zu kommen. Wie siehst du das?

In diversen Teams brauchen wir eine konstruktive Auseinandersetzung und Anerkennung der Unterschiedlichkeiten, damit das vorhandene Potenzial gehoben werden kann. Dafür ist eine gute Selbstreflexion bei allen Teammitgliedern notwendig, jede*r sollte die eigenen Muster und Bias kennen. Und genau hier kann ein Achtsamkeitstraining sehr gut unterstützen. Achtsamkeit bildet meiner Erfahrung nach die Grundlage dafür, dass wir als Individuen reifen und in agilen, diversen Teams erfolgreich zusammenarbeiten können. Sie unterstützt uns wirksam dabei, uns mit unseren Mustern auseinanderzusetzen und innere sowie äußere Konflikte auszuhalten bzw. konstruktiv zu lösen. Wenn jemand etwas sagt und ich merke, dass das meine Bedürfnisse berührt oder eine Spannung in mir verursacht, kann ich anders darauf reagieren, habe mehr Handlungsspielraum. Organisationen bei dieser „Inner Work“ zu begleiten, ist das, was ich leidenschaftlich tue.

 

Du hast innere Konflikte und Muster erwähnt. Mir passiert es manchmal, dass in einer Situation Gedanken oder Gefühle hochkommen, die ich gar nicht haben will und teilweise verurteile ich mich dann dafür. Welchen Rat hast du für mich, um damit besser umzugehen?

Mir ist wichtig zu betonen, dass Achtsamkeit nicht bedeutet, dass ich keinen Ärger empfinden darf. Unangenehme Gefühle oder negative Gedanken wegzudrücken oder nicht haben zu wollen, ist nicht hilfreich. Die Forschung zeigt, dass sie dadurch nur mehr und stärker werden. Achtsamkeit hingegen bedeutet: Alles darf da sein und wird mit Klarheit und mehr und mehr Gleichmut betrachtet. Es geht dabei darum, dass ich mehr Raum und Übersicht darüber bekomme, was in mir passiert und dadurch meine Reaktion besser steuern kann. Dass ich, wenn z. B. jemand meine Gefühle verletzt, mit einer anderen Ruhe und Klarheit sagen kann „Da ist für mich eine Grenze. Ich möchte das so nicht“. Vielleicht gelingt es mir sogar, Raum für Empathie zu schaffen, um mich in die andere Person hineinzuversetzen und eine andere Perspektive einzunehmen. So wird konstruktiveres Handeln möglich. Ich möchte es aber nochmal betonen: Jeder Mensch hat Bias, niemand ist urteilsfrei. Es ist wichtig, sich nicht dafür zu verurteilen, sondern auch hier freundlich mit sich zu sein, die Realität mutig anzuerkennen und nach und nach konstruktiver damit umgehen zu lernen.

 

Empathie war meiner Empfindung nach lange kein Thema, gewinnt aber jetzt zunehmend an Bedeutung, auch oder speziell als Führungskompetenz. Wie geht es dir, wenn du Achtsamkeitstrainings in Unternehmen und Organisationen anbietest?

Ich habe das Gefühl, dass die Wertschätzung für Empathie steigt – unser Menschsein ist unsere Stärke, wenn es um die Bewältigung der Herausforderungen der Zukunft geht. Diese Haltung erlebe ich unabhängig von Branche und Setup des Unternehmens. Gerade in der vergangenen Zeit erlebe ich auch da eine große Offenheit für das Thema Achtsamkeit. Ich habe gelernt, dass ich der Praxis voll vertrauen kann. Bisher habe ich noch niemanden kennengelernt, der*die das Konzept nicht versteht, wenn er*sie sich einige Minuten damit auseinandergesetzt hat. Neurowissenschaft, Medizin und Achtsamkeit gehen immer mehr Hand in Hand – es gibt viele Belege, die die positiven Auswirkungen von Achtsamkeit bestätigen. Mitgefühl und Empathie gehören zu den Wirkungen der Praxis. Wer die eigene Achtsamkeit schult, streckt automatisch auch die Fühler nach außen aus und beginnt, Verbindungen zu anderen zu spüren. Und das ist für alle Menschen gleich wichtig. Der Wunsch nach Zugehörigkeit liegt im Kern unseres Menschseins.

 

Implizit haben wir uns im Interview dieser Frage genähert – ich möchte sie abschließend ganz konkret stellen: Wenn ein Unternehmen sich Diversität und Inklusion zum Ziel setzt, können Achtsamkeitstrainings ein Teil des Wegs sein, um den Erfolg von DEI-Maßnahmen zu verstärken?

Aus meiner Sicht absolut, ja. Denn Menschen, die gestresst sind, sind schon rein physiologisch gar nicht dazu in der Lage, gut in diversen Teams zu agieren. Zu lernen, sich selbst aus einer Meta-Perspektive heraus wahrzunehmen und zu regulieren, ist Voraussetzung dafür, dass man mit Unterschiedlichkeit umgehen und Konflikte aushalten kann. Dazu kommt ein empathisches Zugehen auf andere Menschen und das Einnehmen anderer Perspektiven. Was ich in der Achtsamkeitspraxis etwa auch lerne, ist den sogenannten „Anfängergeist“ zu entwickeln. Das bedeutet, dass ich vom Anspruch, Experte zu sein, wieder einmal einen Schritt zurücktrete. Als Anfänger*in habe ich eine andere Neugier und kann einen frischen Blick einnehmen. Es gibt ein wunderbares Zitat von einem Zen-Meister dazu: „Im Geist eines Anfängers gibt es viele Möglichkeiten. Im Geist des Experten gibt es nur wenige.“ Neugier ist meiner Meinung nach ein Kernaspekt im Umgang mit Unterschiedlichkeit. Abstand von den eigenen Urteilen und Mustern zu nehmen, ist zentral, um mich auf jemanden neu einzulassen, der mir nicht vertraut ist.

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Mehr über das Angebot von Melanie erfahrt ihr auf ihrer Website:

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Melanie arbeitet bei pro active als Organisationsberaterin. Hier könnt ihr euch näher informieren:

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Zum Nachdenken… Wo begegnet ihr Sexismus?

Melanie hat mir erzählt, dass Studien einen Zusammenhang von Stress und sexistischem Verhalten nachgewiesen haben. Menschen, die am Rande ihrer persönlichen Möglichkeiten und Kapazitäten sind, verfallen in Muster und Automatismen. Wenn wir unter Stress sind, verhalten wir uns nicht kooperativ und unseren Werten entsprechend, sondern wollen unser „Überleben“ retten. Schon während dem Interview wusste ich darauf keine Frage, weil ich ungern provoziere. Auch jetzt beim Schreiben fällt mir nichts ein… Darum lasse ich diese Tatsache so für euch stehen.