Lara (27) schreibt gerade ihre Masterarbeit zum Thema „Gender Diversity im Employer Branding für einen höheren Frauenanteil in technischen Berufen“. Wir haben uns gegenseitig interviewt – und ich teile Laras Perspektive mit euch. Wir haben uns über Gender Equality, die Wünsche junger Generationen an ihre Arbeitgeber*innen und die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen unterhalten.
Lara, ich freu mich sehr, dass ich heute deine Perspektive einfangen darf. Welche Berührungspunkte hast du beruflich und/oder privat mit Diversity?
Lara: Beruflich habe ich auf jeden Fall Berührungspunkte in Bezug auf Gender Diversity. Ich bin in einer eher traditionelleren, männerdominierten Branche im Bereich Bargeld-Handling tätig. Auf Veranstaltungen bin ich als Frau immer mehr Ausnahme als Regel, auch den Altersdurchschnitt senke ich deutlich. Die Diskussionen rund um Bargeld machen mir immer wieder bewusst, wie wichtig es wäre, verschiedene Gruppen mit in den Diskurs einzubinden. Um in diesen Bereich wieder frischen Wind zu bringen, braucht es verschiedene Blickwinkel. Wir können nur davon profitieren, wenn wir vielfältige Meinungen zulassen, uns für andere Lösungswege öffnen und die, die wir bereits kennen oder seit Jahren einsetzen, beiseitelegen. Wenn etwas aus der Norm erscheint, ist es nicht gleich schlecht oder seltsam – es kann eine Chance für Innovation sein.
Hast du das Gefühl, dass Unternehmen diese Chance schon gut genug nutzen? Wird das Potenzial unterschiedlicher Altersgruppen genutzt bzw. fühlst du dich als junge Frau angesprochen?
Ich denke, dass viele Unternehmen den Wunsch haben, junge Bewerber*innen für ihre Organisation zu gewinnen, um mit „frischem Blut“ den zukünftigen Herausforderungen zu begegnen. Allerdings stehen auch viele Unternehmen vor der Herausforderung, wie sie das Interesse von jungen Bewerber*innen wecken können. Für Generation Y und Generation Z muss das Bild, wie ein Unternehmen funktioniert, neu betrachtet werden. Meiner Meinung nach suchen junge Arbeitnehmer*innen nach einer Möglichkeit, sich selbst einzubringen und einen Mehrwert zu stiften. Sie wollen gehört und wertgeschätzt werden.
Du hast dich in deiner Masterarbeit mit dem Genderaspekt im Employer Branding für technische Berufe auseinandergesetzt. Was hat dich an diesem Thema interessiert?
Wir sind in vielen Bereichen sehr fortschrittlich und zukunftsorientiert, gefühlt passieren täglich technologische Innovationen. Und auf der anderen Seite müssen wir immer noch über Gleichberechtigung sprechen. Für mich ist Gender Diversity daher ein extrem spannendes Thema. Gleichzeitig denke ich, dass gutes, zielgruppengerechtes Employer Branding immer wichtiger für Unternehmen wird. Der Arbeitsmarkt entwickelt sich immer mehr da hin, dass Arbeitnehmer*innen sich ihren Job aussuchen können und Unternehmen um die besten Kräfte buhlen müssen.
Was sind deiner Meinung nach wichtige Aspekte, die ein Unternehmen im Rahmen seiner Employer-Branding-Maßnahmen mitdenken sollte?
An erster Stelle auf jeden Fall Flexibilität in Bezug auf Arbeitszeit und Arbeitsort, angefangen von Home Office über Workations bis hin zu attraktiven Karenz- und Teilzeitmodellen. Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten sind weiterhin zentrale Kriterien für die Wahl des Jobs. Die Gleichstellung aller Geschlechter im Sinne von gleicher Bezahlung und gleicher Behandlung ist meiner Meinung nach auch für viele junge Menschen ein wichtiger Aspekt. Um diese Rahmenbedingungen im Employer Branding an potenzielle Bewerber*innen zu kommunizieren, können z. B. Role Models gut eingesetzt werden. Wenn gezeigt wird, dass individuelle Wege im Unternehmen möglich sind, dann ist das ein großes Motivationsplus. Role Models machen die Botschaften glaubhaft und vermitteln ein gutes Gefühl für ein Unternehmen.
Ich habe immer die Hoffnung, dass jüngere Generationen die Auseinandersetzung mit Gender Equality und Diversity viel stärker einfordern als das bisher passiert ist. Verrätst du mir, wie du das in deinem privaten Umfeld erlebst?
In meiner Bubble ist auf jeden Fall Gender Diversity ein sehr präsentes Thema, auch im studentischen Umfeld wird viel darüber diskutiert. Wenn wir im Freundeskreis allerdings über unsere beruflichen Erfahrungen sprechen, dann merke ich schon, dass traditionell männerdominierte Branchen sehr wenig Fokus auf Diversity allgemein legen. Dort wird die Notwendigkeit, sich mit Vielfalt auseinanderzusetzen, kaum wahrgenommen. In meinem Freundeskreis erlebe ich einerseits ein Bewusstsein für das Gender-Thema, auf der anderen Seite gibt es immer wieder Scherze über Frauen oder andere diskriminierte Gruppen. Auch wenn diese Witze nicht böse gemeint sind, zeigen sie, wie stark alte Rollenbilder und Denkmuster in uns verwurzelt sind.
Was wünscht du dir in Bezug auf Gender Equality? Was sind deiner Meinung nach große Hebel auf dem Weg zur Gleichstellung?
Ein zentrales Thema ist meiner Meinung nach die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Erst wenn Frauen mit Kindern die gleichen Karrierechancen haben wie Männer mit Kindern – und beide im Idealfall aufgrund ihrer Elternrolle im Job nicht diskriminiert werden –, dann entsteht eine Basis, um Familienplanung gleichberechtigt zu denken. Dann erst können sich alte Rollenbilder langsam auflösen: Die Frau ist nicht mehr dazu „bestimmt“, die Kinderbetreuung und alle anderen Care-Arbeiten zu übernehmen – sondern Mann und Frau entscheiden gemeinsam ohne Rollenerwartungen von außen, wie sie Job und Familie unter einen Hut bringen. Unternehmen können hier mit entsprechenden Rahmenbedingungen einen wesentlichen Beitrag leisten und z. B. Väterkarenzen aktiv fördern oder Krabbelstuben mit großzügigen Öffnungszeiten anbieten.
Denkst du, dass Unternehmen eine gesellschaftliche Verantwortung tragen?
Ja, auf jeden Fall. Unternehmen können viel zur allgemeinen Bewusstseinsbildung beitragen. Ich wünsche mir, dass vor allem große Unternehmen mit viel Reichweite mehr Initiativen umsetzen und das Thema Diversity viel stärker in den Fokus rücken. Außerdem können Unternehmen Rahmenbedingungen viel einfacher verändern, als wenn dafür erst ein Gesetz verabschiedet werden muss. Darüber hinaus finde ich es traurig, wenn z. B. Gesetze zur Gleichstellung der Geschlechter überhaupt notwendig sind. Vielfalt bringt viele Vorteile für die Mitarbeitenden und die Unternehmen. Wer immer nur den gleichen Blickwinkel einnimmt, verpasst eine Menge an Perspektiven und Möglichkeiten.
Ja, da bin ich voll bei dir. Wenn ich die Diskussionen auf LinkedIn verfolge, dann habe ich immer den Eindruck, dass wir mit Themen wie Diversity oder New Work noch ziemlich am Anfang stehen, diese Themen aber stark kommen werden und kein Hype sind. Wie siehst du das?
Ich denke auf jeden Fall, dass die Bedeutung dieser Themen enorm zunehmen wird. Vielleicht noch weniger stark in meiner Altersgruppe, aber jüngere Generationen werden flexible Rahmenbedingungen als Grundbedürfnis einstufen. Abhängig vom beruflichen Aufgabenbereich werden z. B. kreative Menschen gern in einem Café oder in Co Workings arbeiten, weil sie dort einfach inspirierter sind als in einem Einzelbüro. Diese Entwicklungen werden kommen, und Unternehmen sollten sich bereits jetzt damit beschäftigen, wie sie diese Anforderungen bewältigen können. Es ist überlebenswichtig, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich unterschiedliche Altersgruppen bzw. insgesamt vielfältige Gruppierungen wohl fühlen und ihre Kompetenzen bestmöglich einsetzen können.