Vor ihrer Mutterschaft war Sonja (41) bewerbungstechnisch sehr erfolgsverwöhnt, danach meldete ihr der Arbeitsmarkt zurück: Für die Jobs, die du suchst, brauchst du 50 Wochenstunden plus und keine Kinderbetreuungspflichten. Solche Denkmuster aufzubrechen, war einer der Gründe, warum sie den Work Smart Circle ins Leben gerufen hat. Sonja konzipiert und moderiert Peer-Learning-Formate rund um das Themenfeld New Work. Sie stellt ein spannendes Unternehmensnetzwerk für den gemeinsamen Austausch zur Verfügung und wurde dafür vor Kurzem für den Gründungspreis PHÖNIX nominiert.
Sonja, ich freu mich sehr auf deine persönlichen Einblicke und deine Expertise durch die Zusammenarbeit mit vielen unterschiedlichen Unternehmen. Magst du mir zuerst erzählen, was dich motiviert hat, dich mit dem Thema Diversity auseinanderzusetzen?
Sonja: Wenn ich reflektiere, dann hat mir das Thema Diversity sehr viel Mut gemacht. Als ich Mama wurde, habe ich zum ersten Mal in meinem Leben deutlich gespürt, dass sich meine Möglichkeiten verschoben haben und mir für mich neue Grenzen gezogen wurden. Ich habe als berufstätige Mutter sehr viel Frust aufgebaut, weil ich die Arbeitswelt mit sehr vielen „Standardschablonen“ erlebt habe. Diese Schablonen beziehen sich auf Menschen – meist Männer –, die sich auf das Berufsleben fokussieren und Vollzeit arbeiten möchten. Auch wenn sich dieses Bild in den vergangenen Jahren schon etwas verbessert hat, wird das System immer noch von diesen Standards getragen. Daraus ist für mich eine starke Motivation gewachsen, etwas beizutragen und die Arbeitswelt mitzugestalten.
In vielen meiner Interviews ging es schon um eine starke Verknüpfung von New Work und Diversity. Welche Schnittmenge siehst du? Welche Themen oder Fragen reizen dich besonders in deiner Arbeit?
Beruflich beschäftigt mich sehr stark die Frage, was Unternehmen effektiv dabei hilft, die Diversität zu erhöhen. Ich finde es sehr schade, dass noch immer fast nur darüber diskutiert wird, welche Vorteile Diversität bringt. Wir sollten vielmehr schon darüber nachdenken, wie wir die nächsten Schritte schaffen. Es überrascht mich auch, dass es zwar viele Studien zu den Vorteilen von Diversität gibt, aber relativ wenig Empirie darüber auffindbar ist, welche konkreten, effektiven Maßnahmen tatsächlich wirken. Ich finde es daher wichtig, Unternehmen einen guten Rahmen für den gemeinsamen Erfahrungsaustausch zur Verfügung zu stellen. Ich denke, dass durch das gemeinsame Lernen schnellere Veränderungen möglich sind. Genau das mache ich mit meinem Unternehmensnetzwerk „Work Smart Circle“. In Workshops erarbeiten wir z. B. in welcher Form verschiedene Work Smart Dimensionen zu mehr Diversität beitragen.
In meiner Wahrnehmung spielt das Thema Diversity in so enorm viele andere Themen hinein und ist so weit verzweigt, dass die Auseinandersetzung eine Organisation überfordern kann. Welche Erfahrungen machst du in deiner Arbeit mit Unternehmen?
Nachdem ich Soziologie mit Schwerpunkt Organisationssoziologie studiert habe, verfolge ich in meiner Arbeit einen systemischen Ansatz. Das bedeutet, dass ich alles als miteinander verbunden betrachte: Drehe ich an einer Schraube, verändere ich das gesamte System. Eine Metapher, die meine Kollegin Andrea entwickelt hat und die wir in unserer New Work Group gern heranziehen, ist ein Kaleidoskop. Aus den Folien, die übereinandergelegt sind und sich bei jeder Drehung verschieben, entsteht immer wieder ein neues Bild. Genauso greift in einer Organisation alles ineinander und ist miteinander verbunden. Es ist schwierig, mit einzelnen Maßnahmen einen Riesenschritt zu machen, aber es wirkt sich alles vielseitig aus. Das macht die Auseinandersetzung mit Diversity, wie du gesagt hast, schwierig und komplex. In einzelnen Situationen spiegeln sich viele Dimensionen gleichzeitig wider, etwa in einem Meeting. Da lässt sich z. B. gut beobachten, ob alle Teilnehmer*innen zu Wort kommen, offen sprechen können oder wie mit Fehlern und Abweichungen umgegangen wird.
Du hast erzählt, dass du Unternehmen dabei unterstützt, in die Umsetzung zu kommen. Welche Hebel sind deiner Meinung nach gute Treiber für mehr Diversität?
Ich war am Anfang sehr getrieben vom Thema flexible Arbeitszeiten. Nach wie vor lege ich einen Fokus auf Jobdesigns: Wie ein Job definiert wird, darf nicht in Stein gemeißelt sein. Meiner Erfahrung nach sind auch Quotenregelungen eine gute Möglichkeit für Veränderung. Bei einer wissenschaftlich begleiteten Studie für die Zürich Versicherung in England wurden fast alle freien Jobpositionen in Vollzeit und Teilzeit bzw. als Job Sharing ausgeschrieben. Das Ergebnis waren deutlich mehr Bewerbungen von Frauen und Männern und in Folge eine Erhöhung der Frauenquote. Was sich auch deutlich auf die Erhöhung von Diversität auswirkt, ist die Koppelung von Boni oder Gehaltsbestandteilen an Diversitätsziele. Aus systemischer Sicht ist es auch nicht sinnvoll, das Thema Diversität einer Stabsstelle umzuhängen – eine gute Verankerung in der Organisation ist entscheidend. Ein echter Kulturwandel ist Teamsport, der den Einsatz ganz unterschiedlicher Fachbereiche benötigt.
Du hast Quotenregelungen angesprochen. Ich wurde schon mehrfach nach meiner Meinung dazu gefragt. Kannst du näher darauf eingehen, warum Quoten für dich Sinn machen?
Der Faktor, dass uns Ähnliches anzieht, wirkt enorm stark. Sich verstanden und wohl zu fühlen, ist ein menschliches Grundbedürfnis. Daher braucht es ein aktives Gegenlenken, damit ich nicht immer wieder meine Kopie einstelle, sondern mal etwas anderes wage. Natürlich ist Diversität mit Reibung verbunden und diese Experimente mit Neuem bringen uns dazu, unsere Wohlfühlzone zu verlassen. Gesetzliche Quotenregelungen können hier dafür sorgen, dass mehr Menschen diese Experimente wagen und sich eine neue Kultur bzw. Haltung entwickelt. Wenn es dann immer normaler wird und wir es gewohnt sind, dass wir verschiedene Menschen um uns herum haben und in diversen Teams zusammenarbeiten, dann können wir meiner Meinung nach besser mit Unterschieden umgehen. Dann benötigen wir vielleicht auch keine Quote mehr.
Magst du noch ein wenig aus dem „Nähkästchen plaudern“ und mir erzählen, welche Beobachtungen du in deiner Arbeit machst? Gibt es vielleicht Trends oder Themen, die dich besonders beschäftigen?
Insgesamt habe ich das Gefühl, dass sich kulturell etwas verändert und Unternehmen offener über ihre unfertigen Projekte und die Learnings daraus sprechen. Ich beobachte, dass Organisationen mit einer starken Transparenz und Vertrauenskultur in der Auseinandersetzung mit Diversität selten ganz am Anfang stehen. Worüber ich in den vergangenen Monaten verstärkt nachdenke, ist Diversity of Thought, also darüber, wie divers Ansichten und Lebensentwürfe sind. Das ist meiner Meinung nach noch ein eher blinder Fleck in der Auseinandersetzung mit Diversität. Wir erleben aktuell sehr stark, wie polarisierend „Menschen anderer Ansicht“ wirken können. Ich habe das Gefühl, dass wir als Gesellschaft damit nur schwer umgehen können und es uns schwerfällt, in eine gute Diskussion zu kommen bzw. eine gute Diskussionskultur zu erhalten. Der Diskussionskorridor wird immer enger. Diese Entwicklung finde ich sehr bedenklich, da würde ich mir einen unbeschwerteren Umgang miteinander wünschen. Niemand hat die Deutungshoheit über ein Thema. Abzuwerten oder auszuschließen bringt uns nicht weiter. Es geht darum, zuzuhören und andere Ansichten auszuhalten, auch wenn sie schwer nachzuvollziehen sind.
Ich habe darüber schon mehrfach nachgedacht und jetzt gerade ist dieser Satz wieder aufgetaucht: „Hire for attitude and train for skills“ wird oft als Philosophie gefeiert. Ich fühle dabei immer, dass Menschen eingestellt oder befördert werden, die der entscheidenden Person sehr ähnlich sind. Hast du dazu Gedanken?
Sehr spannend, dass du das ansprichst! Mich hat das auch schon öfter getriggert. Eigentlich hat dieser Ansatz etwas Fortschrittliches, weil er beinhaltet, dass Unternehmen Mitarbeiter*innen entwickeln können und das fachliche Anforderungsprofil eines Jobs nicht zu 100 % erfüllt werden muss. Auf der anderen Seite könnte „hire for attitude“ so verstanden werden, dass jemand eben gut dazu passen soll, also ähnlich sozialisiert, mit ähnlichem Hintergrund und ähnlichen Hobbies. Dann passt die Person zwar gut ins Team, trägt aber nichts zu Diversität bei. Ich verstehe das Bedürfnis, dass jemand ins Team passen soll. Wenn ich jemanden rekrutiere, der überspitzt gesagt von niemandem in der Organisation verstanden wird, dann bringt das möglicherweise eine nicht beherrschbare Irritation mit sich. Es ist eine Gratwanderung, wie „anders“ jemand sein kann, der neu ins Team geholt wird.
Ich denke, es ist sehr wichtig, Personalentscheidungen intensiv zu reflektieren. Genau zu überlegen, welche Person das Unternehmen bereichert, neue Sichtweisen ermöglicht und die Organisation insgesamt weiterbringt.
Work Smart Circle
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