Ronja (26) thematisiert in ihrem 2023 erscheinenden Sachbuch „Work Reloaded: Führungskräfte im Vorstellungsgespräch“ die aktuelle Situation am Arbeitsmarkt und den sich in den kommenden Jahren noch zuspitzenden Fachkräftemangel. Auf LinkedIn positioniert sie sich als Fürsprecherin der Gen Z und hat dazu u. a. im ZEIT Talent Podcast darüber gesprochen, was ihre Generation wirklich bewegt. Meine Hoffnung ist, dass junge Menschen in Zukunft eine viel stärkere und bewusstere Auseinandersetzung mit Themen wie Nachhaltigkeit, Diversität oder New Work fordern. Darüber habe ich im Interview mit Ronja gesprochen.

 

Ronja, vielen lieben Dank, dass du dir Zeit für mich und meinen Blog nimmst. Ich bin sehr gespannt auf deine Perspektive. Was verbindest du mit Diversity, wofür setzt du dich ein?

Ronja: Studien belegen, je diverser ein Unternehmen – auch in der Führungsspitze – aufgestellt ist, desto erfolgreicher ist es. Mein Fokus liegt im Bereich Medien. Ich habe einen journalistischen Hintergrund und sehe mich als gelernte Medienschaffende in der Verantwortung, unsere Gesellschaft so darzustellen, wie sie ist: ganz klar divers. Ich bin der Meinung, dass Medien dieser Verantwortung aktuell nicht oder nur unzureichend nachkommen. Um hier einen Ausgleich zu schaffen, versuche ich einerseits, die Diversität unserer Gesellschaft in meinem Podcast HUNGRY MINDS abzubilden und verschiedenste Blickwinkel aufzuzeigen. Andererseits will ich insgesamt zu einer Veränderung der Branche beitragen. Die Medienbranche ist sehr privilegiert und akademisiert. Ich selbst habe nicht studiert und in der journalistischen Bubble, in der ich mich bewege, bin ich als Nicht-Akademikerin immer noch eine Ausnahme. Ich merke immer wieder, dass es gewisse Strukturen gibt, die dazu da sind, um mich auszuschließen. In Tarifverträgen werde ich z. B. anders eingestuft und mir wird dadurch suggeriert, dass meine Arbeit weniger wert ist.

 

Kannst du näher darauf eingehen, welche Schritte die Medienbranche deiner Meinung nach gehen muss? Welche Maßnahmen sind allgemein gut geeignet, um Diversität zu fördern?

Ich setze mich z. B. dafür ein, dass wir Menschen mit unterschiedlichen Lebensläufen einen einfacheren Zugang in Unternehmen, in spezifische Branchen und verschiedene Hierarchiestufen ermöglichen. Das gleiche gilt für verschiedene Ethnien und Lebensrealitäten: Da gibt es noch sehr viele Türen zu öffnen. Im Hinblick auf Gender Equality engagiere ich mich im Verein „proquote“ für mehr Frauen in den Führungsgremien von Medienhäusern. Eines der zentralen Ziele ist, dass mehr Expertinnen zu Wort kommen und Frauen gleich viele Redezeit bekommen wie Männer. Während der Coronapandemie konnte gut beobachtet werden, dass Männer wissenschaftliche Erkenntnisse präsentierten und Frauen meist nur in der Rolle der Betroffenen oder als Sprecherin für soziale Berufe, u. a. als Lehrkraft oder Krankenschwester, auftraten. Frauen müssen sichtbarer werden, auch in den Bereichen Wissenschaft, Finanzen und Wirtschaft.

 

Sichtbarkeit ist ein Stichwort, das ich gern aufgreifen möchte. Ich mag den Spruch „you can only be what you see” sehr. Magst du aus deiner Perspektive dazu etwas teilen?

Sehr gern. Wenn wir uns z. B. mit den Charakteren in Disney-Klassikern auseinandersetzen, sehen wir, dass Kinder schon in sehr jungen Jahren mit traditionellen Rollenbildern konfrontiert werden. Wenn Frauen eine Hauptrolle haben, dann meistens in Form der Prinzessin, die in Abhängigkeit zu anderen – meist Männern – steht und gerettet werden muss. Erst in aktuelleren Filmen werden diese Klischees aufgeweicht. Als weiteres Beispiel fällt mir die Einteilung der Bundesministerien ein: Vermeintlich „softe“ Themen wie Familienpolitik wurden bislang immer Frauen zugeordnet, während Themen wie Finanzen oder Wirtschaft von Männern verantwortet werden. Das muss sich auf jeden Fall ändern. Wir müssen Kinder und junge Erwachsene darin befeuern, noch stärker mit alten Genderrollen zu brechen. Das ist eine Aufgabe, der wir uns als Gesellschaft stellen müssen.

 

Welche Verantwortung siehst du in dieser Hinsicht bei Unternehmen? Welche Möglichkeiten haben Unternehmen, um die Rahmenbedingungen insgesamt zu verändern?

Es gibt sehr erschreckende Zahlen dazu, wie Eltern in Unternehmen diskriminiert werden – und meistens trifft das die Mütter. Ich habe z. B. kürzlich gelesen, dass eine junge Frau bis zu ihrem 30. Lebensjahr durchschnittlich 50.000 Euro gespart haben sollte, um ihren Lebensstandard in der Rente aufrechterhalten zu können. Bei Männern sind es nur etwa 18.000 Euro. Die Differenz resultiert einerseits aus der höheren Lebenserwartung von Frauen und andererseits aus dem aktuellen Gender Pay Gap, der sich ab dem 30. Lebensjahr deutlich verstärkt. Arbeitgeber*innen tragen hier auf jeden Fall eine Verantwortung. Ich bin überzeugt, dass sich Unternehmen aufgrund des Fachkräftemangels die Diskriminierung von Eltern in Zukunft auch gar nicht mehr werden leisten können.

 

Du thematisierst in deinem neuen Buch den sich zuspitzenden Fachkräftemangel. Worauf müssen sich Unternehmen deiner Meinung nach einstellen?

Die Statistiken weisen darauf hin, dass 2030 in Deutschland 100.000 Mitarbeitende allein in der Nachmittagsbetreuung von Grundschulkindern fehlen werden. Allein diese Entwicklung muss dazu führen, dass Unternehmen Modelle anbieten, die es ihren Mitarbeiter*innen ermöglichen, Beruf und Familie zu vereinbaren. In den vergangenen Jahrzehnten war diese Herausforderung schon mit enormen Anstrengungen verbunden – aber in den kommenden Jahren wird sich die Situation noch ganz anders darstellen. Wenn hier keine guten Lösungen angeboten werden, werden sich viele junge Frauen und Männer, vor allem Akademiker*innen, diesem höllischen Spagat nicht mehr unterwerfen und sich bewusst gegen Kinder entscheiden. Diese Entwicklung verzeichnet das Statistische Bundesamt schon heute. Dazu kommt noch, dass es in deutschen Städten immer schwieriger wird, bezahlbaren Wohnraum für eine Familie zu finden. Unternehmen haben hier definitiv eine soziale Verantwortung, die sie in den kommenden Jahren stärker wahrnehmen müssen als bisher.

 

Was sind damit verbunden die größten Herausforderungen? Welche Hebel siehst du als zentral für eine Veränderung?

Unternehmen müssen ganz andere Flexibilitäten für Eltern ermöglichen, damit die Betreuung der Kinder besser mit dem Job vereinbar ist und wieder verstärkt daheim abgebildet werden kann. Eine einfache Regel ist z. B., dass ab 15 Uhr keine Meetings mehr stattfinden. Mir ist auch wichtig, dass wir bei Familien nicht nur die Konstellation mit Mutter-Vater-Kind meinen, sondern alternative Familienmodelle wie Alleinerziehende mitdenken. Ein Unternehmen sollte sich im Idealfall bei jeder Entscheidung fragen, ob diese für eine alleinerziehende Person umsetzbar ist. Arbeitgeber*innen, die in den vergangenen Jahren verabsäumt haben, Vereinbarkeit zu etablieren, werden das nicht mehr in der notwendigen Zeit schaffen und im Zweifel daran scheitern. Ich gehe sogar so weit, dass ich sage, die Entscheider*innen von heute schaufeln sich ihr eigenes Grab, wenn sie Eltern weiterhin diskriminieren. Familie und Care-Arbeit bedeuten schließlich nicht nur die Betreuung von Kindern, sondern auch die Pflege von älteren Angehörigen. Jährlich sterben in Deutschland 200.000 Menschen, weil sie aufgrund des Fachkräftemangels nicht gut versorgt werden und/oder vereinsamen.

 

Du hast angesprochen, dass Care-Arbeit wieder verstärkt in der Familie abgebildet werden soll bzw. muss. Meinst du das als Überbrückung, bis das Betreuungsangebot besser ausgebaut ist?

Es ist auf jeden Fall notwendig, dass das Betreuungsnetzwerk aufrechterhalten und weiter ausgebaut wird – so gut das aufgrund des Fachkräftemangels möglich ist. Gleichzeitig denke ich, dass Care-Arbeit abseits der alten Rollenbilder und traditionellen Aufteilung wieder stärker in der Familie verankert werden muss. Familie ist hier für mich allerdings ein sehr weit gefasster Begriff, der sich nicht auf blutsverwandte Personen beschränkt. Wir können alte Menschen z. B. am besten in unserer Gesellschaft halten, wenn sie gut integriert sind, eine Aufgabe und soziale Kontakte haben. Das geht ganz wunderbar über Kinder. Durch diese Zusammenführung und das verstärkte Miteinander kümmern sich die Personen entsprechend ihren Ressourcen und Möglichkeiten umeinander. Es gibt schon einige Vorzeigemodelle für sozialen Wohnbau, die ein Generationenmiteinander etabliert haben. Da entwickelt sich ein Geben und Nehmen, von dem alle profitieren.

 

Das geht für mich in eine Richtung, über die ich mir mit dem Buch „Die Welt neu denken“ von Maja Göpel schon Gedanken gemacht habe: Die Idee, dass wir zukünftig nicht mehr Vollzeit arbeiten, dennoch volles Gehalt beziehen und uns neben dem Beruf ehrenamtlich engagieren. Wie realistisch ist das für dich? Was hältst du von diesem Gedanken?

Für mich ist die 40-Stunden-Woche tatsächlich in Zukunft nicht mehr realistisch, weil sich die gesellschaftlichen Verantwortungen so sehr verschieben werden. Es gibt viele Anzeichen dafür, dass wir in Zukunft vermehrt mit Krisen umgehen werden müssen. Unternehmen müssen daher ihren Mitarbeitenden mehr freie soziale Zeit einräumen. Die Lebensphasen, in denen Menschen sich aktuell am meisten sozial engagieren, sind während Ausbildung bzw. Studium und ab der Rente. Während der „Rush Hour“ des Lebens ist soziales Engagement nur für sehr privilegierte Gruppen möglich. Um die zukünftigen Herausforderungen – vom demographischen Wandel über den Fachkräftemangel bis hin zu Klimawandel und Naturkatastrophen – bewältigen zu können, brauchen wir Zeit für soziale Aufgaben. Wir müssen z. B. eine gute Integration von Klimageflüchteten sicherstellen und menschliche Begegnungen zulassen können, damit wir als Gesellschaft zusammenbleiben. Ich bin überzeugt, dass auch Unternehmen langfristig davon profitieren, wenn wir Zeit für soziales Engagement bekommen und es uns gelingt, möglichst viele Menschen mit Migrationshintergrund gut zu integrieren und ein gutes Miteinander aufzubauen.

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„Work Reloaded: Führungskräfte im Vorstellungsgespräch“ von Ronja Ebeling

Mit ihrem ersten Buch „Jung, besorgt, abhängig – eine Generation in der Krise“ hat Ronja bereits für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Ronjas zweites Buch ist ab sofort vorbestellbar und erscheint im April 2023: https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/A1066791611

Ronja hat darin die Perspektiven unterschiedlicher Branchenvertreter*innen eingefangen und nachgefragt, wie dem Fachkräftemangel begegnet bzw. entgegengesteuert wird.