Anna (26) hat eines meiner Interviews in der LinkedIn-Gruppe „New Work Women“ geteilt und mir damit einen sehr schönen Morgen beschert. Ich habe sie zu einem Interview eingeladen und dabei viel über ihre persönlichen Beweggründe erfahren. Besonders spannend waren für mich die Gedanken zu Feminismen und die Verbindung von DEI-Maßnahmen mit dem betrieblichen Gesundheitsmanagement. In Summe habe ich im Gespräch mit Anna auch den ersten Geburtstag meines Blogs reflektiert. Ich freu mich, wenn ihr Gedanken dazu mit mir teilt.
Anna, ich freu mich sehr auf deine Perspektive. Welche Berührungspunkte hast du beruflich und/oder privat mit dem Thema Diversity?
Anna: In meinem Masterstudium mit den Schwerpunkten Soziologie und Bildungswissenschaften habe ich regelmäßig Berührungspunkte mit Diversity. Auch in meinem Freundeskreis werden Themen wie Diversität, Fairness, Mitbestimmung und politische Teilhabe gern diskutiert. Beruflich habe ich seit zweieinhalb Jahren eine sehr spannende Position, die gut zu meinen persönlichen Interessen und zu meinem Studium passt. Ein Bereich des Unternehmens bietet Organisationsbegleitung mit Fokus auf die Einführung neuer Vergütungssysteme, da kann ich die bildungswissenschaftliche Seite meiner Ausbildung einbringen. Zusätzlich gibt es das Netzwerk „New Work Women“, wo ich als Co-Kommunikatorin mitwirken kann.
Ich finde das Netzwerk bzw. die Themen, mit denen ihr euch auseinandersetzt, sehr wertvoll. Erzählst du mir mehr darüber, was dich an der Mitarbeit besonders reizt?
Das Netzwerk „New Work Women” gibt es seit 2017. Wir sehen uns als Mitstreiter*innen für eine diskriminierungsfreie Arbeitswelt. Im Mittelpunkt steht, die Perspektiven von Frauen auf die neue Arbeitswelt sichtbar zu machen. Für mich war es zu Beginn meiner Arbeit sehr spannend, überhaupt einmal zu entdecken, wo genau die Unterschiede liegen und welche Bedürfnisse oder Gedanken Frauen und Männer mit New Work verbinden. Das hat auch dazu geführt, dass ich mich intensiver und auf einer strukturellen Ebene mit Diversität auseinandergesetzt habe. 2021 haben eine Kollegin und ich das „#DiversitYear“ ausgerufen und zu verschiedenen Diversitätsdimensionen Themenwochen gestaltet. Wir haben recherchiert, Postings platziert, Veranstaltungen organisiert und insgesamt versucht, für uns und für andere Bilder einer z. B. barrierefreien oder rassismusfreien Arbeitswelt zu entwickeln. Für mich war das ein extrem lehrreiches Jahr. Je mehr ich in die Thematik eingetaucht bin, desto stärker wurde mir bewusst, wie wenig ich eigentlich wusste – und wie heteronormativ, cis und weiß unsere Gesellschaft ausgerichtet ist.
Durch meine Interviews sehe ich eine sehr starke Verschränkung von New Work und Diversity. Ich habe die Hoffnung, dass neue Arbeitswelten flexibler und inklusiver gedacht werden und dadurch für bisher diskriminierte Menschen mehr Möglichkeiten entstehen. Gleichzeitig kommt es mir aber oft so vor, als werde New Work genauso wie Diversity wie ein Trend gesehen, der wieder vorübergeht. Wie denkst du darüber?
Ich erlebe auch oft ein Buzzword-Denken zu diesen Themen. Viele setzen New Work mit flexiblen Arbeitszeiten oder Desksharing gleich. Für mich geht es viel mehr um eine Haltung: Jeder Mensch hat andere Bedürfnisse, aber auch eine andere Geschichte und individuelle Stärken – und genau die wollen wir einbringen. Die Methoden und Maßnahmen, wie das erreicht werden kann, können unterschiedlich sein. Im Fokus steht wirklich diese Haltung, den Menschen in seiner Ganzheit zu sehen und Mitbestimmung zu ermöglichen. Wer das ernst nimmt, kommt an Diversity, Equity und Inclusion nicht vorbei. Eine wichtige Aufgabe für DEI-Verantwortliche sehe ich darin, Bewusstseinsbildung zu betreiben und den Mehrwert dieser Haltung zu transportieren. Ich denke, dass viele Menschen das Thema noch gar nicht sehen. New Work bedingt Diversität – und umgekehrt braucht Diversity eine neue Arbeitswelt bzw. Haltung.
Du hast zu Beginn angesprochen, dass Männer und Frauen unterschiedliche Ansprüche an New Work haben. Welche Unterschiede thematisiert ihr oft, was kommt immer wieder zur Sprache?
Die Klassiker sind auf jeden Fall die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Care-Arbeit und Mental Load. Ich habe mich im Soziologiestudium sehr viel mit Gesellschaftsstrukturen auseinandergesetzt. Und auch wenn ich das nicht gut finde: Diese Themen sind nach wie vor Frauenthemen und werden auch von Frauen getrieben. Ich denke, dass viele Männer den Wunsch haben, sich stärker in der Familie einzubringen – aber dann gibt es da den Gender Pay Gap, patriarchale Rollenbilder in vielen Firmen und die damit verbundene Angst vor dem Verlust der eigenen Position. Ein weiteres Thema, das wir bei „New Work Women“ oft diskutieren, bezieht sich auf Branchen, in denen typischerweise mehr Männer arbeiten wie z. B. in IT- oder sehr produktionsnahen Unternehmen. Wir sind der Meinung, dass es durchaus viele Frauen gibt, die in diesen Bereichen gut ausgebildet, erfahren und ambitioniert sind – sich als tendenziell einzige Frau aber „allein“ fühlen würden. Hier wollen wir mit unserem Netzwerk eine Möglichkeit zum Austausch bieten.
Meinen Blog gibt es jetzt seit einem Jahr. Ohne dass ich das beabsichtige, habe ich deutlich mehr Frauenperspektiven eingefangen. Mir kommt es so vor, dass Frauen nicht nur die Vereinbarkeit häufiger zum Thema machen, sondern insgesamt das Thema Diversity stärker treiben. Wie siehst du das?
Ja, ich sehe das genauso. Die eigene Betroffenheit ist ein starker Treiber für die Auseinandersetzung mit Diversity bzw. mit einzelnen Aspekten oder Dimensionen von Diversität. Bei unserem „DiversitYear“ hat meine Kollegin, die selbst von Rassismus betroffen ist, z. B. einen Fokus auf Rassismus gelegt. Für mich hat das super gepasst, weil ich diesen Bereich nicht bearbeiten wollte, nachdem ich selbst keine Erfahrungen mit rassistischer Diskriminierung habe. Ich denke, es ist wichtig, betroffene Personen sprechen zu lassen und nicht als privilegierte Person über andere zu sprechen. Ich finde es viel schöner, betroffenen Personen Raum zu geben – ohne sie ungefragt zu Expert*innen zu ernennen, wenn sie das vielleicht gar nicht sein möchten. Das ist für mich ein wichtiger Aspekt von Mitbestimmung, wenn ich Menschen die Möglichkeit gebe, sich einzubringen, ohne sie dazu zu verpflichten.
Ihr habt in eurem „DiversitYear“ unterschiedliche Themenschwerpunkte gesetzt. Wenn du daran zurückdenkst, gibt es Diversitätsdimensionen, die auf mehr Resonanz stoßen als andere? Oder gibt es Dimensionen, die im Vergleich schwieriger zu verfolgen sind?
Es gibt zwei Dinge, die mir krass in Erinnerung geblieben sind. Das eine ist die Auseinandersetzung damit, wie eine feministische Arbeitswelt aussehen kann. Ich hatte bis dahin eine sehr klare Vorstellung, die in Diskussionen allerdings auf viele andere, sehr unterschiedliche Bilder gestoßen ist. Dadurch wurde mir klar, dass es nicht den einen Feminismus, sondern viele Feminismen gibt. Wir müssen lernen, nicht aus dem eigenen Feminismus heraus zu denken, sondern zu berücksichtigen, dass es viele Meinungen und Bedürfnisse gibt. Das Gleiche trifft auf die gesamte Diversity-Debatte zu. Das zweite Thema, das mich sehr bewegt hat und auf viel Resonanz gestoßen ist, war unsere Auseinandersetzung mit Rassismus. Wir haben allein anhand der Profilbilder sofort gesehen, dass unsere LinkedIn-Community deutlich diverser geworden ist. Ich habe mich mega gefreut, dass unser Raum auch für BIPoC (Black, Indigenous, and People of Color) interessant wurde. Barrierefreiheit und Klassismus waren dagegen Themen, die meinem Gefühl nach weniger stark mobilisiert haben.
Gibt es aus deiner Arbeit noch etwas, das du mit mir teilen möchtest? Fällt dir etwas ein, dass du sehr spannend findest?
Konkret denke ich gerade an ein Bild, das in einer unserer Diskussionen aufgetaucht ist: Wenn wir uns ein Bücherregal vorstellen, dann teilen sich die Bücher über DEI und betriebliches Gesundheitsmanagement das hintere verstaubte Ende. Sie werden manchmal herausgeholt und abgestaubt, aber mehr um zu sehen, ob sie überhaupt noch da sind. Dabei sollten beide Themen in jedem Buch mitgedacht werden. Wenn wir bei „New Work Women“ über Gesundheit sprechen, kommen wir immer wieder auf Diversitätsdimensionen zurück. Auf der einen Seite haben Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, oft einen höheren Bedarf an Gesundheitsleistungen, wenn wir z. B. an Depressionen als eine der vielen negativen Auswirkungen von Mobbing denken. Auf der anderen Seite gibt es eine Reihe von Maßnahmen in beiden Bereichen, von denen alle profitieren. Wir hatten z. B. eine Diskussion zum Thema Autismus und ADHS am Arbeitsplatz und haben viele Unterstützungsmöglichkeiten kennengelernt. Dazu gehörten keine Großraumbüros und keine grellen Lichter, eventuell ein Ruheraum. Ich habe mir das angehört und gedacht, das würde ich auch alles haben wollen. Ganz oft sind Lösungen für eine spezielle Gruppe von Menschen auch für viele andere ein Benefit. Ich bin überzeugt, dass unsere Welt so viel schöner sein könnte, wenn wir sie inklusiver denken – anstatt wie aktuell oft zu Lasten von vielen anderen.