Mein erster Interviewpartner. Hubert (45) und ich kennen uns aus einem beruflichen Kontext. Ein gemeinsames Strategieprojekt und ein gemeinsames Mittagessen. Und jetzt ein virtuelles Gespräch über Diversität.
In meinen Interviews ist es mir wichtig, persönliche Sichtweisen einzufangen. Mich interessiert, womit du das Wort „Diversität“ verbindest und welche Rolle Vielfalt in deinem Leben spielt.
Hubert: Ich nehme meinen Freundeskreis als sehr divers wahr. Einer meiner engsten Freunde ist türkisch-bulgarischer Herkunft, einer meiner längsten Vertrauten ist ein richtiger Ur-Wiener aus der Josefstadt, ich habe Outings in der Familie erlebt, habe Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen in meinem Leben. Ich geh in einen Ottakringer Boxverein und spiele seit meiner Jugend Fußball, da lerne ich Menschen quer aus Europa, Afrika und Asien kennen. Ich mag das und sehe das als Bereicherung, Diversität ist Teil meines Lebens.
Erzählst du mir etwas über deine Herkunft, deine Geschichte?
Meine Mutter kommt aus Polen, mein Urgroßvater väterlicherseits aus Südtirol. Ich habe als Kind ein paar Mal meinen Wohnort gewechselt, von Ellmau bis Wien. Ich musste mir in meiner Jugend bestimmt nicht so viel anhören wie andere, aber es gab immer wieder „Polen-Allergien“ in meinem Umfeld. Mein Zugang war, meine Wurzeln ganz offen anzusprechen, weil ich gerne auf Konfrontation gegangen bin, wenn jemand darüber dumme Sprüche abließ und dann nicht verstehen wollte, dass Herkunft oder Sprache ein Kriterium für Ausgrenzung sind.
Was meinst du: Ist Diversität ohnehin ein Teil von dir, weil du selbst in einer heterogenen Umwelt groß geworden bist? Oder setzt du dich bewusst mit dem Thema auseinander und holst dir auch heute absichtsvoll Vielfalt in dein Leben? Bzw. meinst du, man kann Diversität „lernen“?
Es gab in meiner Jugend ein paar Situationen, wo ich erfahren habe, wie es ist, allein dazustehen und Teil der Gruppe sein zu wollen. Das hat dazu geführt, dass ich mich später gerne auf die Seite von sogenannten Außenseitern gestellt und Minoritäten vertreten habe. Ich habe in dieser Zeit viel gelesen, Robin Hood und Rittersagen oder 1001 Nacht – über Helden, schlechte oder gute Menschen und Könige. Meine katholische Erziehung hat das noch verstärkt. Ich denke schon, dass diese Prägung mich offen für Diversität macht. Ich habe mir keinen diversen Freundeskreis gesucht, sondern ich gehe eben mit dieser Offenheit auf andere Menschen zu. Das bringt diese Vielfalt in mein Leben. Kann man Diversität lernen? Ich denke, es macht einen Unterschied, ob man neugierig und offen ist, oder ob man aus Höflichkeit Interesse zeigt oder gar vorspielt. Der Schlüssel ist vorbehaltloses Interesse an Menschen, denke ich. Das kann man entdecken oder wecken.
Wie erlebst du Diversität in deinem beruflichen Umfeld?
In meiner Wahrnehmung mache ich beruflich keinen Unterschied, welche Nationalität jemand hat oder welche Sexualität jemand auslebt. Es ist mir einfach nur wichtig, dass es menschlich passt, dass man gut in einem Team zusammenarbeiten kann. Anders-Sein empfinde ich spannend, es macht mich neugierig. In Teams ist Diversität befruchtend. Gemeinsames Brainstorming bringt unterschiedlichere Assoziationen und damit kreativere Zugänge als bei einem „gleichgeschalteten“ Team.
Was macht diverse Teams kreativer?
Wenn ich mit den Freunden brainstorme, mit denen ich aufgewachsen bin, ist die Vielfalt an Ideen gering, weil wir miteinander sozialisiert sind, wir haben eine gemeinsame Geschichte. Wenn ich mir unterschiedliche Menschen ins Team hole, dann sind die Assoziationen viel bunter, ich bekomme viel mehr Perspektiven mit hinein. Ein diverses Team ist eine viel tiefere Quelle für Kreativität.
Diese unterschiedlichen Assoziationen und Meinungen bringen vermutlich Konfliktpotenzial mit sich. Was muss ein diverses Team berücksichtigen, damit es über die Konflikte hinauskommt und gemeinsam bessere Ergebnisse erreicht?
Ich habe mich sehr intensiv mit dem Thema Konflikt auseinandergesetzt und sehe Konflikte als etwas ganz Normales. Für mich ist wichtig, dass man unterschiedliche Interessenslagen anspricht und bespricht. Das gemeinsame Austragen von Konflikten ist eigentlich produktiv. Ein diverses Team bringt per se vielleicht ein höheres Konfliktpotenzial mit sich, weil die Interessen unterschiedlicher sind und weil es ein geringeres gemeinsames „Regelwerk“ für Verhalten gibt. Es bedarf sicher intensiverer Gespräche und einer höheren Kompromissbereitschaft. Oft geht es nicht einmal um einen Kompromiss, sondern vielmehr um einen weiteren Blickwinkel, den man ins gemeinsame Kalkül zieht. Wo wir im Unternehmen bspw. sehr leicht trotz – ja sogar wegen – unserer Diversität eine gute Lösung für alle finden, ist das gemeinsame Kochen und Essen. Unsere Flexitarier haben z. B. überhaupt kein Problem damit, dass hauptsächlich vegetarisch und vegan gekocht wird, weil sie ihre 2-3 Portionen Fleisch ja nicht unbedingt im Büro essen müssen. Das klingt vielleicht banal, aber unser gemeinsames Essen schafft eine gute Basis, um auch andere Interessenskonflikte besser austragen zu können. Ich denke, dass Menschen, die Diversität schätzen, auch mit den dadurch entstehenden Konflikten gut umgehen können. Sie sehen die Konflikte nicht als Problem, sondern als Diskussion hin zu einer besseren Lösung.
Kann Diversität auch an ihre Grenzen stoßen?
Ja. Schwierig wird es, wenn Menschen Vorbehalte haben. Was es für Vielfalt eindeutig nicht braucht, ist ein Mensch, der die Vielfalt nicht haben will. Wenn ein Rassist damit argumentiert, dass man Meinungsvielfalt zulassen muss, dann schließt er sich ja quasi selbst aus, wenn er alles, das anders ist, nicht als Vielfalt schätzt. Ich bin der Meinung, dass man sich von solchen Personen trennen muss, wenn man ein gutes, diverses Team zusammenstellen will. Sonst wird das nicht funktionieren.
Du arbeitest in der Kreativbranche und ich wage zu behaupten, dass es hier mehr Diversität gibt als in vielen anderen Branchen. Hast du Tipps, wie Diversität auch da gelingen kann?
Gerade, wenn man die Speerspitzen der Kreativwirtschaft betrachtet – Film, Musik, Kultur –, da sind die Teams sehr bunt und mit sehr viel Individualität besetzt. Da gibt es eine Offenheit und ein anderes Verständnis füreinander. Wenn man sich mehr Diversität ins Unternehmen bzw. ins Team holen will, dann muss man Rahmenbedingungen schaffen und die bestehenden Teammitglieder gegebenenfalls darauf vorbereiten bzw. in die Entscheidung involvieren. Eine klare Position und die Betonung der Vorteile von Diversität sind die Basis. Wichtig ist auch, nicht bei den ersten Schwierigkeiten zu kapitulieren. Ich würde immer wieder auf die Personen zugehen, von denen Widerstand kommt, diese sensibilisieren und im gemeinsamen Gespräch ergründen, wo der Widerstand seine Wurzeln hat.
Ein Perspektivwechsel
Hubert, was würde sich in deinem Leben ändern, wenn du… ab morgen eine Frau mit Lebenspartnerin wärst?
Ich gehe davon aus, dass ich im Büro mit jedem darüber reden kann, dass ich eine Lebenspartnerin habe. Im Boxverein, wo 60% unter 30 Jahre alt sind, – so wie ich ticke – da würde ich diejenigen, die mit blöden Witzen kommen, darauf ansprechen. Ich würde mir die Zeit nehmen, mit jedem Einzelnen zu reden und zu erklären, dass Homosexualität etwas völlig Normales ist. Wenn ich noch jünger wäre, würde ich damit aber bestimmt nicht so offen und selbstbewusst umgehen.
Huberts Literaturempfehlung
Feeling Creative, Being Creative: An Empirical Study of Diversity and Creativity in Teams.
https://psycnet.apa.org/record/2005-02181-005
Diese Studie zeigt einen unmittelbaren Zusammenhang, dass je diverser das Team der Agentur aufgestellt war, desto mehr Kreativpreise konnte die Agentur vorweisen.
Mein Learning
Worüber ich mir im Interview mit Hubert bewusst wurde, ist, dass die Dimensionen von Diversität in den unterschiedlichsten Kontexten sehr verschieden gesehen werden. Am Beispiel Profifußball: Hubert hat erzählt, dass sich Josh Cavallo erst in diesem Jahr als überhaupt einer der ersten aktiven männlichen Fußballprofis öffentlich als schwul geoutet hat. Während die sexuelle Orientierung ein Tabu darstellt, ist Diversität im Hinblick auf Nationalitäten im Männerfußball schon fast ein Muss. Und dann gibt es da noch den „feinen“ Unterschied zum Frauenfußball, wo den Spielerinnen schon beinahe im Kollektiv unterstellt wird, homosexuell zu sein.