Petra (44) und ich sind in der gleichen Unternehmensgruppe tätig, haben uns aber beim Interview zum allerersten Mal gesehen. Wenn man uns beide in die Dimensionen von Diversität einordnet, landen wir bei überraschend vielen Kriterien in der gleichen Schublade. Petra beschäftigt sich allerdings schon seit vielen Jahren mit dem Thema Diversität.
Petra, du hast dich als Allererste auf meinen Post gemeldet und ich freue mich sehr, dass ich heute deine Perspektive zum Thema Diversität einfangen darf. Magst du mir zu Beginn erzählen, wie du auf das Thema aufmerksam geworden bist?
Petra: Es ist schon einige Jahre her, aber ich war mal Lehrerin an einem Wiener Gymnasium mit überwiegend Autochthonen und wenigen Migrantenkindern. Ich habe mich damals immer wieder gefragt, worin die Ursachen für diese Aufteilung liegen, da in Wien ja etwa 50% aller Einwohnerinnen und Einwohner einen Migrationshintergrund haben, sich diese Aufteilung im Gymnasium aber nicht abbildet. Warum landen die Autochthonen vorwiegend im Gymnasium und die Migranten in den Mittelschulen, was sich natürlich deutlich auf die spätere Karriere auswirkt? Mein Rückschluss war damals, dass unser Bildungssystem diese Aufteilung fördert. Das fand ich sehr schade, weil ich das Potential der Kinder gesehen habe, welches leichtfertig verspielt wurde. Ich habe dann einen Kurs zu „Deutsch als Fremdsprache“ besucht und mich bemüht, im Gymnasium so speziell auf alle Kinder mit Migrationshintergrund einzugehen. Den gerechten Zugang zu Bildung für alle Kinder zu ermöglichen, unabhängig von deren sozialer Herkunft, war mir in dieser Lebensphase sehr wichtig. Als ich dann zum ersten Mal konkret mit dem Thema Diversität in Verbindung gekommen bin, hat das ein Feuer in mir entfacht.
Was hat dich am Thema gefesselt? Wie hat sich deine Leidenschaft in den vergangenen 20 Jahren entwickelt?
Diversität ist für mich ein sehr umfangreiches Konzept, das einen Bogen über viele wichtige Themen spannt und enormes Potenzial hat. Diversität greift die Vielfalt in unserer Gesellschaft auf und setzt sich für die Anerkennung und Wertschätzung aller Menschen ein. Zu Beginn war es der soziale Friede, der mich angetrieben hat. Ich habe dann intensiv verfolgt, wie sich Diversität in der Privatwirtschaft niederschlägt, da das Thema in meiner Wahrnehmung lange eher im öffentlichen Bereich angesiedelt war. Durch die Internationalisierung von Unternehmen hat sich Diversity dann neben Nachhaltigkeit und Digitalisierung als wesentliche Säule für Transformation etabliert. Ich habe den Eindruck, dass es aktuell sehr schick und modern ist, sich divers zu geben. Auch bei meinen Kindern beobachte ich, dass das Thema gesellschaftlich viel präsenter ist als noch vor einigen Jahren. So berichtet mir z.B. meine Elfjährige laufend News aus der LGBTQ-Community und stellt auch viele Fragen dazu.
Was meinst du, welche Vorteile Unternehmen darin sehen, sich diverser aufzustellen?
Viele internationale Unternehmen haben – zumindest konzeptionell – begriffen, dass sie unterschiedliche Kundengruppen mit einem diversen Team viel besser verstehen und ansprechen können. Nachdem Frauen oft die Kaufentscheidungen treffen, wäre es allein schon aus diesem einen Grund smart, Frauen in Entwicklungs- und Managementteams zu haben. Wenn wir innovative Produkte entwickeln wollen, brauchen wir möglichst viele kreative Köpfe, die unterschiedlich denken.
Wie erlebst du das Thema Diversität in deinem beruflichen Umfeld?
Ausgangspunkt der Überlegungen war ein System für Auszeit- und Karenzmanagement. Über viele Gespräche hat sich das Thema dann weiterentwickelt und mein Arbeitgeber hat ja 2020 die SDGs (Sustainable development goals) unterzeichnet, sich zu Vielfalt bekannt und ein Diversitätsleitbild entwickelt. Als Personalentwicklerin bei People & Culture habe ich sehr viele Diskussionen und Gespräche zum Thema Diversität. Ich erlebe das Thema als sehr lebendig in unserer Organisation. Wir haben natürlich noch Luft nach oben, aber wir sind auf einem guten Weg. Ein großer Hebel ist die Auseinandersetzung mit unseren Führungskräften. Da fände ich es spannend, noch weiter in die Diskussion und den Austausch zu gehen.
Kannst du näher erklären, wo du den Zusammenhang von Führung und Diversität siehst?
Ich finde, Diversität ist ganz eng verknüpft mit Führungsthemen und mit dem Verständnis von Leistung. Führungskräfte sind ein Schlüssel, um mit dem Thema Diversität voranzukommen. Führung muss auch anders gedacht werden können – von einem reinen Leistungsprinzip hin zu inklusiver Führung. Es darf und soll in einem Unternehmen natürlich unterschiedliche Führungsrollen und -mechanismen geben, aber auch hier benötigen wir Vielfalt, um Diversität zu ermöglichen. Da spielen alternative Arbeitszeitmodelle mit hinein, z. B. Shared Leadership, Führen in Teilzeit, usw. Ich bin überzeugt davon, und habe dazu auch eigene Erfahrungen gesammelt, dass eine geteilte Führungsposition unter gewissen Voraussetzungen sehr gut funktionieren kann.
Du hast erwähnt, dass ihr über Inclusive Leadership nachdenkt. Sind derartige Initiativen und Pilotprojekte ein guter Einstieg, um Diversität auf breiter Basis in einem Unternehmen zu verankern?
Für mich wäre das ein gangbarer Weg, ja. Irgendwo müssen wir beginnen, die Dinge anders zu denken und Schritt für Schritt Erfahrungen zu machen. Ich verweise da auf den Ansatz aus unserer Digitalisierungsstrategie: Der Mix aus „failing-forward-learning-faster“ und positiver Fehlerkultur ermöglicht uns Innovation auch in der Diversity. Mit kleinen Schritten nähern wir uns dem großen Ganzen an. Über die Digitalisierungsstrategie werden außerdem crossfunktionale Teams forciert, das gibt uns auch für das Thema Diversität Rückenwind.
Hast du Tipps und Erfahrungen für Unternehmen, die sich mit dem Thema Diversität auseinandersetzen und aktiv werden wollen?
Zuerst einmal ist es wichtig, gut für sich zu definieren, was man unter Diversität versteht und welche Ziele man damit erreichen will. Diversität umfasst ja so viele Dimensionen, die man berücksichtigen kann. Möglichst viele Führungskräfte ins Boot zu holen und sie für Diversität zu begeistern, ist wie erwähnt eine der Schlüsselaufgaben, um Vielfalt überhaupt zu ermöglichen. Und als ganz essenziell sehe ich auch die Auseinandersetzung mit Leistung. Wie schaffe ich es, sowohl Anreize für einzelne Leistungsträger als auch für effektive Teamarbeit zu setzen? Ich sehe hier z. B. eine Möglichkeit, indem man individuelle Ziele mit übergeordneten Team- oder Abteilungszielen kombiniert. Bei mir im Team funktioniert das super: Ich unterstütze die Kolleginnen und Kollegen beim Erreichen ihrer Jahresziele und bekomme umgekehrt auch Support von den anderen. Gegenseitige Wertschätzung und Kooperation, eine offene Kommunikation und der Blick auf das „big picture“ sind wesentliche Kriterien für Diversität.
Mein Learning
Petra hat einige Herausforderungen bei der Beschäftigung mit Diversität angesprochen. Sie wirkte dennoch sehr optimistisch auf mich. Als ich sie darauf angesprochen habe, meinte Petra, dass sie mit einem positiven, freundlichen und offenen Zugang mehr erreiche, als wenn sie die Themen durchboxe. „Wie kann ich Brückenbauerin zu den Haltungen der anderen werden?“, formuliert Petra ihren Zugang. Das hat für mich die Frage aufgeworfen, welche Methoden Männer und welche Frauen anwenden, wenn sie sich für Themen stark machen? Welche Erfahrungen habt ihr dazu gemacht?
Weiterführende Links
SDG = Sustainable Development Goals /
Ein Perspektivwechsel
Petra, was würde sich in deinem Leben ändern, wenn du… ab morgen ein männlicher Migrant und gläubiger Moslem wärst?
Das ist eine richtig schwierige Frage. Es würde sicher sehr stark von meinen sprachlichen Fähigkeiten abhängen und es hätte definitiv deutliche Auswirkungen auf meinen Alltag. Ich denke, dass Personen, die den Islam vertreten, es derzeit allgemein sehr herausfordernd haben in unserer Gesellschaft. Ehrlich gesagt habe ich Schwierigkeiten, mir vorzustellen, wie ich meine Realität als Migrant und gläubiger Moslem überhaupt leben könnte.